EB1021____Creepers - David Morell
Frau
seines Herzens. Charade. ›Moon River‹ in Frühstück bei Tiffany.«
Balenger versuchte sich vorzustellen, wie Vinnie darüber
dachte.
Einzelne Töne fehlten in der Melodie; einige der Tasten
funktionierten nicht mehr. Die Musik hallte blechern in dem
riesigen leeren Raum wider, und Balenger wurde noch anges‐
pannter. Es war nicht die Tatsache, dass Rick in die Tasten
hämmerte, denn die Melodie war nicht viel lauter als ihre
Stimmen, und draußen würde man nichts davon hören kön‐
nen, sondern es kam ihm vor wie ein Übergriff.
Die Klaviermusik brach ab. Ricks verlegenes Gesicht er‐
schien in der Tür. »Tut mir leid. Konnte einfach nicht wider‐
stehen.«
»Ich bin sicher, wenn sich hier noch irgendwelche Ratten
rumgetrieben haben, sind wir sie jetzt los«, sagte Vinnie.
Rick lachte und schloss sich den anderen wieder an. Sie er‐
reichten die große Haupttreppe. Die Marmorstufen mit dem
prachtvollen Geländer teilten sich auf halber Höhe und
schwangen sich weiter hinauf in die Schatten zur Rechten und
zur Linken. Aber die Stirnlampen der Gruppe richteten sich
auf etwas anderes. Sie starrten hinunter auf die dunklen Ver‐
färbungen auf den Stufen.
»Eingetrocknetes Wasser. Wahrscheinlich von Löchern im
Dach.« Vinnies Sohlen knirschten auf Glassplittern, die vom
Staub so matt geworden waren, dass sie im Licht der Lampen
nicht einmal blinkten. »Das Wasser ist bis ganz nach unten
geflossen. Seht euch bloß den Dreck an, den es mitgebracht
hat.«
»Achten Sie beim Höhersteigen darauf, wohin Sie treten«,
warnte der Professor Balenger. »Das Holz wird teilweise ver‐
rottet sein.«
23:00 Uhr
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Sie erreichten den Absatz, an dem die Treppe sich teilte. Auch
die Stufen rechts und links waren mit dunklen Flecken ver‐
färbt.
»Eine Menge Wasser«, sagte Rick. »Jahrelang. Bei einem or‐
dentlichen Gewittersturm muss es hier nur so runterlaufen.«
»Seid vorsichtig«, sagte der Professor. »Es kann immer noch
glitschig sein.«
Sie stiegen die linke Treppenbiegung hinauf in die Schatten.
Am oberen Ende stießen sie auf eine Reihe eleganter Türen mit
angelaufenen Messingnummern daran. Die dunklen holzver‐
täfelten Wände waren dick verstaubt. In regelmäßigen Ab‐
ständen verschwanden Gänge in die Dunkelheit. Der Geruch
nach Feuchtigkeit und Alter war überwältigend. Balenger sah
auf den verfaulenden persischen Teppichboden hinunter; das
verschlungene Muster war verblichen und mit Schimmelflek‐
ken bedeckt.
Sie wandten sich nach links und folgten einer Galerie. Etwa
alle zehn Schritte stand ein schmaler Tisch an der Wand. Auf
einigen dieser Tische standen Vasen mit vertrockneten Blu‐
men; die Blüten sahen aus, als würde die leichteste Berührung
sie zu Staub zerfallen lassen. Dann bogen sie wieder nach links
ab und stießen auf eine weitere Treppe. Diese Treppe war aus
fein gearbeitetem Holz, aber die Wasserschäden waren zu
stark, als dass man hätte erkennen können, was für ein Holz es
war. Balenger spähte nach oben.
Vinnie tat es ihm nach. »Mein Gott. Diese Treppe folgt ei‐
nem zentralen Schacht bis ganz nach oben. Viel ist nicht zu
erkennen, aber ich glaube, ich sehe da ein Glasdach. Mond‐
licht. Wolken.«
»In das oberste Dach ist ein riesiges Oberlicht eingebaut«,
sagte Conklin. »Der Lichtschacht führt mitten durch Carlisles
ehemalige Wohnung. Er konnte von Zimmer zu Zimmer ge‐
hen und auf die Gäste auf der Treppe und in dem Teil des
Foyers hinuntersehen, der für ihn sichtbar war.«
»Haben die das nicht ein bisschen merkwürdig gefunden?«,
fragte Cora.
»Die Wände seiner Wohnung haben ihn verborgen. Die
Leute konnte ihn nicht sehen. Er hat Gucklöcher verwendet.«
»Das Oberlicht muss zerbrochen sein. Daher kommt all das
Wasser. Auf diesem Weg müssen auch die Vögel reingekom‐
men sein«, sagte Balenger. Unvermittelt knackte das Holz un‐
ter seinen Füßen. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er griff
nach dem Geländer. Die anderen blieben stehen.
»Ich spüre nicht, dass sich irgendwas bewegt«, versuchte
Rick, ihn zu beruhigen. »Die Stufen geben einfach nur nach.«
»Natürlich.« Balenger war nicht überzeugt. Er probierte
vorsichtig die nächste Stufe aus.
»Ich brauche mehr Licht.« Cora zog die Taschenlampe aus
dem Gürtel.
Die anderen folgten ihrem Beispiel. Die wandernden Licht‐
strahlen erweckten die Schatten zum Leben; plötzlich hatte
man den Eindruck, als
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