Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Jessica, dass einige Schüler die Köpfe zusammensteckten. Anscheinend hatte auch heutzutage und in dieser Altersstufe eine Rangelei auf dem Schulhof Tuscheleien zur Folge.
Sie fuhren die Academy Road hinunter. Als sie in die Grant Avenue einbogen und der Verkehr wegen einer Baustelle zum Erliegen kam, fragte Jessica: »Kannst du mir sagen, worum es bei dem Streit ging?«
»Es ging um Brendan.«
»Brendan Hurley?«
»Ja.«
Brendan Hurley ging in Sophies Klasse. Der dünne, ruhige Junge mit der Brille schien wie dazu geschaffen, von Mitschülern gehänselt zu werden. Sonst wusste Jessica nicht viel über ihn. Zum letzten Valentinstag hatte Brendan Sophie eine Karte geschenkt. Eine große, glitzernde Karte.
»Was ist mit Brendan?«, fragte Jessica.
»Ich weiß nicht«, sagte Sophie. »Ich glaube, es könnte sein …«
Der Verkehr lief weiter. Sie bogen vom Boulevard ab und in die Torresdale Avenue ein.
»Was, mein Schatz? Du glaubst, Brendan könnte was sein?«
Sophie schaute aus dem Fenster und dann zu ihrer Mutter. »Ich glaube, er ist schwuuul«, flüsterte sie.
Oje, dachte Jessica. Sie war auf vieles vorbereitet. Gespräche über das friedliche Miteinander, über Nationalitäten und Klassenunterschiede, über Geld und sogar über Religion. Auf ein Gespräch über geschlechtliche Identität war sie überhaupt nicht vorbereitet. Die Tatsache, dass ihre Tochter das Wort im Flüsterton sagte, sprach Bände. Offenbar hielten Sophie und ihre Klassenkameraden dieses Thema für ein heißes Eisen, über das man sich besser nicht laut äußerte. »Verstehe. Und wie kommst du darauf?«, fragte Jessica.
Sophie strich ihren Rock glatt. Es war nicht leicht für sie. »Er läuft wie ein Mädchen«, sagte sie schließlich. »Und er wirft auch die Bälle wie ein Mädchen.«
»Okay.«
»Aber das tue ich doch auch, oder?«
»Ja, tust du.«
»Dann ist es doch nicht schlimm.«
»Nein. Es ist überhaupt nicht schlimm.«
Sie fuhren in die Einfahrt, und Jessica schaltete den Motor aus. Sie hatte keine Ahnung, was Sophie über die sexuelle Orientierung eines Menschen wusste. Schon allein der Gedanke an den Begriff »sexuelle Orientierung« in Verbindung mit ihrem kleinen Mädchen ließ sie ausflippen.
»Was ist denn passiert?«, fragte Jessica.
»Dieses Mädchen hat gemeine Sachen über Brendan gesagt.«
»Welches Mädchen?«
»Monica«, sagte Sophie. »Monica Quagliata.«
»Geht sie in deine Klasse?«
»Nein. Sie ist in der dritten. Sie ist sehr groß und stark.« Sophie ballte die Fäuste – bewusst oder unbewusst.
»Was hast du zu ihr gesagt?«
»Ich hab gesagt, sie soll aufhören, so was zu sagen. Dann hat sie mich geschubst und mich Schlampe genannt.«
Dieses Miststück , dachte Jessica. Insgeheim hoffte sie, dass Sophie es diesem kleinen Biest ordentlich gezeigt hatte. »Was hast du dann getan?«
»Ich hab sie auch geschubst. Sie ist hingefallen, und alle haben gelacht.«
»Hat Brendan auch gelacht?«
»Nein. Brendan hat Angst vor Monica Quagliata. Alle haben Angst vor Monica Quagliata.«
»Aber du nicht.«
Sophie schaute aus dem Fenster. Es hatte zu regnen begonnen. Sie fuhr mit dem Finger über die beschlagene Scheibe und wandte den Blick dann wieder ihrer Mutter zu. »Nein. Ich nicht.«
Ja, dachte Jessica. Meine mutige kleine Tochter. »Ich möchte, dass du mir zuhörst, okay, Liebling?«
Sophie setzte sich gerade hin. »Kommt jetzt wieder einer deiner Vorträge?«
Jessica hätte beinahe gelacht, doch sie hielt sich im letzten Augenblick zurück. »Ja, ich glaub schon.«
»Okay.«
»Ich möchte, dass du daran denkst, dass eine Prügelei immer der allerletzte Ausweg ist, okay? Wenn du dich verteidigen musst, ist es in Ordnung. Immer. Und manchmal müssen wir auch auf Menschen aufpassen, die nicht selbst auf sich aufpassen können. Verstehst du, was ich meine?«
Sophie nickte, doch sie sah verwirrt aus. »Und was ist mit dir, Mama? Du hast dich doch ständig geprügelt.«
Oh, Scheiße, dachte Jessica. Die Logik einer Siebenjährigen.
Nachdem Sophie geboren wurde, hatte Jessica das Boxen für sich entdeckt. Dieser Sport unterstützte auch hervorragend ihre Bemühungen, nach der Schwangerschaft wieder abzunehmen. Aus irgendeinem Grund gefiel ihr diese Sportart. Sie ging sogar so weit, ein paar Amateurboxkämpfe zu bestreiten, ehe sie sich von ihrem großartigen Onkel Vittorio überreden ließ, in den Profisport einzusteigen. Wenn für weibliche Boxerinnen über fünfunddreißig keine
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