Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
heißen Sommernachmittag im Jahre 2007 ging Eduardo Robles mit seiner Freundin eine Straße in Fishtown hinunter. Nach Robles’ Angaben fuhr gegen halb zwei ein Auto langsam an ihnen vorbei. Der tiefe Bass eines Rapsongs dröhnte so laut, dass die Fenster der umliegenden Häuser klirrten. Plötzlich hielt jemand eine Waffe aus dem Fenster des Wagens und schoss. Robles’ Freundin, eine Siebzehnjährige namens Lina Laskaris, wurde von drei Kugeln getroffen.
Robles rief die Polizei. Als er in der Wache ankam, nachdem ein Streifenbeamter seine Aussage auf der Straße zu Protokoll genommen hatte, gelangte ein Detective dort zu dem Schluss, dass der junge Mann ein Verdächtiger und kein Zeuge war. Der Detective legte Robles Handschellen an und steckte ihn in eine Zelle.
Byrne bekam den Anruf gegen dreiundzwanzig Uhr. Als Robles im Roundhouse eintraf – fast zehn Stunden nach dem Ereignis –, nahm Byrne ihm die Handschellen ab und setzte ihn in einen der Verhörräume. Robles sagte, er habe Hunger und Durst. Byrne ließ Sandwiches und Mountain Dew kommen und fing mit dem Verhör an.
Das übliche Spiel begann.
Um drei Uhr am nächsten Morgen knickte Robles ein und gab zu, Lina Laskaris erschossen zu haben. Um 3.06 Uhr verhaftete Byrne Robles wegen Mordes und las ihm seine Rechte vor.
Das Problem in diesem Fall war, dass der Polizei nach dem Gesetz sechs Stunden Zeit für die Entscheidung blieben, ob es sich bei der Person um einen Zeugen oder einen Verdächtigen handelte.
Drei Tage später entschied die Grand Jury, dass für eine Anklageerhebung die gesetzliche Grundlage fehle. Die Verhaftung hatte nämlich offiziell in dem Augenblick stattgefunden, als Robles irrtümlicherweise auf der Wache die Handschellen angelegt worden waren. Schon in diesem Moment wurde Robles vom Zeugen zum Verdächtigen, und ab da war die Zeit gelaufen.
Fünf Tage, nachdem Eduardo Robles seine Freundin kaltblütig ermordet hatte, war er infolge der ungeheuer inkompetenten Arbeit eines Detectives auf einem Polizeirevier wieder ein freier Mann. Und dann wurde dieser Detective dank unergründlicher politischer Beziehungen kürzlich auch noch für seine Inkompetenz mit einer Versetzung in die Mordkommission und einer Gehaltserhöhung belohnt. Es war wirklich unglaublich!
Dieser Detective hieß Dennis Stansfield.
Robles lebte weiterhin in Freiheit, und wenige Monate später war er an der Ermordung eines gewissen Samuel Reese beteiligt, der nachts in einem kleinen Geschäft in Chinatown arbeitete. Die Polizei war der Ansicht, dass Robles zwei Mal auf Reese schoss und anschließend die CD des Überwachungssystems aus dem Rekorder im Hinterzimmer nahm. Mit sechsundsechzig Dollar und einer Dose Bremsflüssigkeit verließ er den Tatort.
Sie hatten nur Indizienbeweise – keine Tatwaffe, keine verwertbaren Spuren, fragwürdige Zeugenaussagen –, nichts, was vor Gericht Bestand gehabt hätte. Nach dem Buchstaben des Gesetzes nur einen Haufen Scheiße.
Seit zwei Tagen bemühte sich Byrne, Beweismaterial gegen Robles zusammenzutragen, aber er kam nicht gut voran. Die Tatwaffe konnte nicht sichergestellt werden. Byrne verhörte vier Leute, die hätten bestätigen können, dass Robles sich zur Tatzeit in dem Geschäft aufgehalten hatte. Keiner von ihnen war bereit, mit der Polizei zu sprechen, jedenfalls nicht offiziell. Byrne sah die Angst in ihren Augen. Wenn man an einer Straßenecke oder im Wohnzimmer oder sogar auf der Arbeitsstelle mit einem Polizisten sprach, war das eine Sache. Vor der Grand Jury unter Eid auszusagen und von einem Staatsanwalt befragt zu werden, stand auf einem ganz anderen Blatt. Jeder, der in den Zeugenstand gerufen wurde, wusste, dass eine Falschaussage vor der Grand Jury mit einer Haftstrafe von fünf Monaten und neunundzwanzig Tagen geahndet wurde. Und das für jede einzelne Lüge.
Morgen früh wollte Byrne sich mit Michael Drummond treffen, dem Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt, der für den Robles-Fall zuständig war. Wenn sie vier Zeugen fanden, die den Mann belasteten, müsste es gelingen, einen Durchsuchungsbeschluss für seinen Wagen und seine Wohnung zu bekommen. Vielleicht fanden sie dann etwas, was ihnen weiterhalf und zu einer hieb-und stichfesten Beweiskette führte.
Oder vielleicht kam es gar nicht dazu. Vielleicht stieß Robles ja auch etwas zu.
In einer Stadt wie Philadelphia konnte man das nie wissen. Traf die Polizei eine Mitschuld am Tod von Samuel Reese? Ja, in diesem Fall war sie mitschuldig.
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