Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Seniorenklasse eingerichtet wurde, lagen diese Zeiten nun endgültig hinter ihr. Jetzt hatte Jessica sich bei Joe Hand’s Gym angemeldet, wo sie sich auf eine Reihe von Schaukämpfen vorbereitete, um Geld für die Police Athletic League zu sammeln. Diese Organisation widmete sich der Jugendarbeit, wobei der Schwerpunkt auf sportlichen Aktivitäten lag.
Weder das eine noch das andere half ihr im Augenblick, ihrer Tochter den Unterschied zwischen Prügeln und Boxen zu erklären.
Plötzlich sah Jessica einen Schatten im Außenspiegel.
Vincent lief mit einer Pizzaschachtel von Santucci’s die Einfahrt hinauf. Ihr Mann mit den karamellbraunen Augen, den langen Wimpern und dem durchtrainierten Körper ließ Jessicas Herz noch immer höher schlagen. Jedenfalls an den Tagen, an denen sie nicht den Wunsch hatte, ihn umzubringen. Manchmal trug er Anzug und Krawatte, rasierte sich sorgfältig und kämmte sein dunkles Haar nach hinten. An anderen Tagen machte er auf betont lässig. Heute war einer dieser lässigen Tage. Jessica musste zugeben, dass sie ihn dann unwiderstehlich fand. Für einen verheirateten Mann sah Detective Vincent Balzano wirklich verdammt gut aus.
»Liebling?«, sagte Jessica.
»Ja, Mama?«
»Du weißt, worüber wir gerade gesprochen haben? Über den Unterschied zwischen Prügeln und Boxen?«
»Was ist damit?«
Jessica tätschelte die Hand ihrer Tochter. »Frag deinen Vater.«
Sie wohnten seit über fünf Jahren in Lexington Park im Nordosten von Philadelphia, wenige Straßen vom Roosevelt Boulevard entfernt. An guten Tagen brauchte Jessica fünfundvierzig Minuten bis zum Roundhouse. An schlechten Tagen – und das war meistens der Fall – noch länger. Doch das sollte sich bald ändern.
Sie hatten beschlossen, in ein Haus in South Philly zu ziehen, ein dreigeschossiges Reihenhaus, das alten Freunden gehörte. Auf diese Weise wechselten Häuser in Philadelphia oft die Besitzer. Es kam selten vor, dass sie im Kleinanzeigenteil der Zeitungen ausgeschrieben wurden.
Das Haus stand in unmittelbarer Nähe ihrer neuen Kirche, der Sacred Heart of Jesus, wo auch Sophies neue Schule war. Neue Freunde, neue Lehrer. Jessica fragte sich, welche Auswirkungen der Umzug wohl auf das kleine Mädchen haben würde.
Jessicas Vater, Peter Giovanni, gehörte zu den Cops mit den meisten Auszeichnungen in der Geschichte des Philadelphia Police Departments. Er lebte noch immer Ecke Sechste und Catharine in South Philly in dem Haus, in dem Jessica aufgewachsen war. Noch war Peter ein rüstiger, aktiver Mann, der sich in der Gemeinde engagierte. Doch er wurde älter, und eines Tages würde es für ihn eine große Anstrengung sein, die Fahrt zu seiner einzigen Enkeltochter auf sich zu nehmen. Aus diesem und vielen anderen Gründen zogen sie wieder zurück nach South Philly.
Als ihre Tochter fest schlief und Vincent sich mit seinen Brüdern im Keller vergnügte, stand Jessica auf der obersten Stufe der schmalen Treppe zum Speicher.
Es kam ihr fast so vor, als stecke ihr ganzes Leben in diesen Kartons in dem vollgestellten, verwinkelten Raum unter dem Dach. Fotos, Andenken, Auszeichnungen, Geburts-und Sterbeurkunden, Zeugnisse.
Sie nahm einen der Kartons, einen weißen Geschenkkarton von Strawbridge’s, um den grünes Garn gewickelt war, in die Hand. Mit diesem Garn hatte ihre Mutter früher ihr Haar im Herbst, wenn die Sommersonne ihrem brünetten Haar einen kastanienbraunen Ton verliehen hatte, zusammengebunden.
Jessica zog das Garn von dem Karton und öffnete ihn: eine mit künstlichen Perlen besetzte Puderdose, ein kleines Lederportemonnaie, ein Stapel Polaroid-Fotos. Wie immer in solchen Situationen spürte sie die vertrauten Stiche des Schmerzes, der Trauer und des Verlustes, obwohl es schon über fünfundzwanzig Jahre her war, dass ihre Mutter gestorben war. Jessica schob das Garn wieder über den Karton, stellte ihn neben die Treppe und ließ ihren Blick noch einmal durch den Speicher wandern.
Sie war schon eine ganze Weile bei der Polizei und hatte fast alles gesehen. Es gab nicht viel, das sie aus dem Gleichgewicht warf.
Das schon.
Sie zogen zurück in die Stadt.
5.
»Diese verdammte Stadt«, schimpfte der Mann. »Zuerst klemmen sie eine Kralle an mein Auto, dann schleppen sie es ab, dann muss ich zum Amt für Parkraummanagement und steh da zwei Stunden mit einem Haufen stinkender, zwielichtiger Typen herum. Und dann schicken sie mich zur Ecke Neunte und Filbert Street. Dann sagen sie mir, dass ich
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