Echo Einer Winternacht
können.«
»Gut«, sagte Alex und wechselte ins Englische zurück. »Hast du Sheila und Adam schon Bescheid gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der einzige Mensch, mit dem ich gesprochen habe, war Lynn. Ich wusste nicht, was ich zu seinen Eltern sagen sollte.«
»Willst du, dass ich es für dich tue?« Aber bevor Hélène antworten konnte, klingelte Alex’ Handy in seiner Tasche. »Das ist bestimmt Lynn«, sagte er, nahm es heraus und sah auf die Nummer auf dem Display. »Hallo?«
»Alex?« Lynn klang verängstigt.
»Ich bin hier im Haus«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll. Es tut mir so furchtbar leid. Hélène hatte recht.
Mondo ist tot. Es sieht aus, als wäre jemand eingebrochen …«
»Alex«, unterbrach ihn Lynn, »ich habe Wehen. Sie haben gleich, nachdem ich mit dir gesprochen habe, eingesetzt. Ich dachte, es wäre falscher Alarm, aber sie sind jetzt im Abstand von drei Minuten.«
»Oh Gott.« Er sprang auf und sah sich in Panik um.
»Reg dich nicht auf. Das ist doch natürlich.« Lynn stöhnte vor Schmerz auf. »Da ist schon wieder eine. Ich habe ein Taxi angerufen, es müsste gleich da sein.«
»Was … was …?«
»Fahr einfach zum Simpson. Ich treffe dich in der Entbindungsstation.«
»Aber, Lynn, es ist zu früh«, brachte Alex endlich etwas Sinnvolles heraus.
»Es ist von dem Schock, Alex. Das kommt vor. Alles ist in Ordnung. Bitte, hab keine Angst. Für mich ist es wichtig, dass du keine Angst hast. Und dass du dich ins Auto setzt und nach Edinburgh kommst – und sei vorsichtig. Bitte?«
Alex schluckte. »Ich liebe dich, Lynn. Euch beide.«
»Ich weiß. Bis bald.«
Die Verbindung wurde unterbrochen, und Alex blickte Hélène hilflos an. »Sie hat Wehen«, sagte er mit belegter Stimme.
»Also, dann geh.«
»Du solltest nicht allein sein.«
»Ich habe eine Freundin, die ich anrufen kann. Du musst bei Lynn sein.«
»Beschissenes Timing«, sagte Alex. Er stopfte das Telefon in seine Tasche zurück. »Ich ruf dich an, wenn ich kann.«
Hélène stand auf und legte die Hand auf seinen Arm. »Geh einfach, Alex. Lass mich wissen, was los ist. Danke, dass du gekommen bist.«
Er rannte aus dem Zimmer.
30
chmutzig graue Streifen bildeten sich in der vom Orange der Straßen
S
lampen erhellten Dunkelheit der Stadt. Alex ließ sich auf eine kalte Bank beim Simpson Memorial Pavilion fallen, Tränen liefen ihm über die Wangen. Nichts in seinem bisherigen Leben hatte ihn auf eine solche Nacht vorbereitet. Er war inzwischen über die Müdigkeit hinaus in einen Bewusstseinszustand gewechselt, wo er das Gefühl hatte, er würde nie wieder schlafen können. Die starke emotionale Belastung bewirkte, dass er fast nicht mehr wusste, was er eigentlich fühlte.
Er hatte keine Erinnerung an die Rückfahrt von Glasgow nach Edinburgh, außer, dass er irgendwann unterwegs seine Eltern angerufen hatte, und er erinnerte sich dunkel an eine aufgeregte Unterhaltung mit seinem Vater. Die wildesten Ängste hatten in seinem Kopf getobt, was alles schiefgehen konnte. Und all die ihm nicht einmal vage bekannten Risiken einer Frühgeburt nach nur vierunddreißig Wochen Schwangerschaft. Er wünschte, er wäre Weird, damit er sein Vertrauen in eine zuverlässigere Macht als die Medizin setzen könnte. Was sollte er ohne Lynn nur machen? Was, um Gottes willen, würde er mit einem Baby ohne Lynn oder aber mit Lynn ohne das Baby tun? Die Vorzeichen konnten gar nicht schlechter sein. Mondo lag tot im Leichensaal einer Klinik. Und er, Alex, war in der wichtigsten Nacht seines Lebens nicht da gewesen, wo er sein sollte.
Er hatte den Wagen irgendwo auf dem Parkplatz der Klinik abgestellt und fand beim dritten Anlauf den Eingang zur Entbindungsstation. Als er endlich schwitzend und keuchend bei der Anmeldung ankam, war er dankbar, dass die Schwestern der Station an so vieles gewöhnt waren. Ein unrasierter Mann mit wildem Blick, der wie ein Narr vor sich hin faselte, ließ den Zeiger ihrer Richterskala nicht einmal ausschlagen.
»Mrs. Gilbey? Ah ja, wir haben sie gleich raufgebracht in den Kreißsaal.«
Alex versuchte sich auf die Beschreibung des Wegs nach oben zu konzentrieren und wiederholte sie halblaut, während er durch die Korridore der Station ging. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage und sah ängstlich in die Videokamera, in der Hoffnung, dass er einem werdenden Vater ähnlicher war als einem entsprungenen Irren. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis sich nach dem
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