Echo gluecklicher Tage - Roman
bemüht habe, eine Stelle zu finden.«
»Aber die waren alle eine Nummer zu groß für dich«, erwiderte sie heftig.
Sam hatte so großartige Vorstellungen, dass er sich um Jobs beworben hatte, für die seine wenigen Erfahrungen nicht reichten. Er war erst achtzehn, und er hatte nur Schuhe repariert, Bücher geführt und Getränke serviert. Aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass er eine gehobene Stellung bekommen würde, nur weil er Engländer war.
»Sei nicht so ein Snob, was Jack angeht«, schimpfte Beth mit ihm. »Er ist vielleicht ein bisschen ungehobelt, aber er ist ein guter Kerl, und außerdem hat er Köpfchen. Wir nicht; wir werden ständig übers Ohr gehauen, weil wir uns nicht auskennen. Wenn wir es in diesem Land schaffen wollen, dann müssen wir uns den einfachen Leuten anschließen, alles von der Pike auf lernen und versuchen, uns hochzuarbeiten.«
»Wir wurden nicht dazu erzogen, in den Slums zu leben«, erklärte Sam mürrisch. »Diesen Ort hast du doch wohl nicht vergessen?«
Das hatte Beth nicht. Sie dachte immer noch mit Schaudern an das Gebiet, in das sie zufällig an ihrem ersten Abend in der Stadt geraten waren.
Man hatte Sam den Weg zum Broadway und einem nicht allzu teuren Hotel erklärt, aber sie mussten in dem schummrigen Licht falsch abgebogen sein, denn sie waren in einem grauenhaften Slum gelandet, von dem sie jetzt wussten, dass es sich um das berüchtigte Five Points handelte, benannt nach den fünf Straßen, darunter die Park Street und die Worth Street, die dort zusammenliefen.
Es war dort tausend Mal schlimmer gewesen als in irgendeinem Slum in Liverpool, ein schlecht beleuchtetes Labyrinth aus schmalen Gassen, an denen verfallene Häuser standen. Dreckige, in Lumpen gekleidete und barfüßige Kinder kauerten in den Eingängen, gebückte alte Männer saßen neben offenen Feuern auf dem nackten Boden, und liederlich aussehende Frauen schrien ihnen Schimpfwörter nach, als sie vorbeigingen. Die fünfstöckigen Wohnhäuser, die wie düstere Festungen hinter den älteren Häusern standen, schienen Tausende zu beherbergen, denn aus ihnen dröhnte eine Kakofonie von Geräuschen.
Zu dem Zeitpunkt war es schon zehn Uhr abends gewesen, der Gestank war so schlimm, dass man glaubte, durch eine Kloake zu waten, und alle schienen entweder betrunken oder dement zu sein. Mehrmals wurden sie bedroht, man versuchte, ihnen das Geld abzunehmen, und wild aussehende Hunde knurrten sie an. Sie fürchteten tatsächlich um ihr Leben.
Am folgenden Tag, nachdem sie sich in einem hübschen, sauberen Hotel in Sicherheit gebracht hatten, erzählte man ihnen, dass Five Points zwanzig Jahre zuvor als der schlimmste Slum der ganzen Welt gegolten hatte. Und selbst jetzt, in seinem verbesserten Zustand, war es der letzte Zufluchtsort für die Verzweifelten, sowohl für die Armen als auch für die Kriminellen. Bis zu sechzehn Leute teilten sich dort ein einziges Zimmer, Kinderbanden lebten auf der Straße, und kaum eine Nacht verging, in der nicht jemand umgebracht wurde.
Seitdem hatten Sam und sie New York erkundet, und obwohl es andere Gegenden gab, in denen die Einwanderer in minderwertigen und oft überfüllten Wohnhäusern lebten, stießen sie nie wieder auf einen so furchtbaren Anblick wie in Five Points.
Es gab die Herrenhäuser an der Fifth Avenue, wunderschöne, ruhige Plätze mit eleganten Häusern und Läden voller Waren, die sie noch niemals gesehen hatten. Der Central Park war riesig und prachtvoll, und es gab Gebäude, die so groß und prunkvoll waren, dass man nur stehen bleiben und sie anstarren konnte. Sie staunten über die erhöht verlaufenden Schienen, auf denen der Zug über ihren Köpfen entlangfuhr, und über die neuen, überraschend hohen Gebäude, die die Leute Wolkenkratzer nannten.
Allein die Anzahl der Fahrzeuge – Karren, Droschken, Kutschen und Omnibusse – war atemberaubend, genauso wie die Anzahl der Restaurants, Austernbars und Kaffeehäuser. Es war eine so aufregende, laute und pulsierende Stadt, und die riesige Mischung verschiedener Nationalitäten, alle mit eigener Sprache, eigenen Gebräuchen, eigener Musik und Küche, schuf einen verlockenden und faszinierenden Zirkus der Attraktionen.
Beth war sich sicher, dass sie hier sehr glücklich werden konnten, wenn sie Arbeit und einen anständigen Platz zum Leben fanden.
»Ich wollte damit nicht sagen, dass wir in Five Points leben müssen«, erklärte sie verärgert, denn sie war es leid, dass ihr Bruder in
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