Echo gluecklicher Tage - Roman
erschien ihr alles bedrohlich.
»Was ist los?«, fragte er. »Oh, zur Hölle noch mal, halt mir jetzt bitte keine Moralpredigt, Beth! Glücksspiele sind hier sehr beliebt, die Leute finden es nicht schlimm, also warum sollten wir das tun?«
»Hast du denn nie Angst, dass wir die Werte verlieren, nach denen wir früher gelebt haben?«, fragte Beth.
»Dass wir nicht vergessen dürfen, zu welcher Klasse wir gehören? Dass wir vor der Oberschicht katzbuckeln müssen? Dass wir arm, aber ehrlich sind? Sag mir, Beth, warum sollen wir nicht reich sein? Steht irgendwo geschrieben, dass wir nicht nach Höherem streben dürfen, weil unser Vater Schuster war?«
»Ich schätze, ich habe einfach Angst, dass uns das alles verdirbt«, sagte sie kleinlaut. »Du weißt genau, selbst wenn du es nicht zugeben willst, dass wir an Heaney gebunden sind, und er ist kein guter Mann.«
»Ich weiß, dass er uns ausnutzt, aber wir können ihn auch ausnutzen, Beth. Du sammelst Erfahrungen und übst, während du für ihn spielst, und ich lerne etwas über Kartenspiele. Wenn die Zeit reif ist, dann nehmen wir diese Erfahrungen und ziehen weiter, weg von New York nach Philadelphia, Chicago oder sogar nach San Francisco. Wir sind hergekommen, um Abenteuer zu erleben und reich zu werden, und genau das werden wir auch tun.«
»Du gehst doch nicht eines Tages einfach ohne mich weg, oder?«, fragte sie ängstlich.
Sam setzte sich neben sie aufs Bett und umarmte sie fest. »Beth, du bist der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der mir wirklich etwas bedeutet. Du bist nicht nur meine Schwester, du bist meine beste Freundin. Ich werde ohne dich niemals irgendwo hingehen.«
Sam war niemand, der blumige Reden schwang, und weil sie wusste, dass er meinte, was er sagte, brach Beth in Tränen aus.
»Weine nicht, Schwesterchen«, flüsterte er und strich ihr übers Haar. »Wir sind bis jetzt gut zurechtgekommen, und wir können es noch viel weiter bringen.«
15
Nachdem Sam ihr von seinen Plänen erzählt hatte, einen Spielsalon zu besitzen, saß Beth am Fenster und blickte über die Dächer und den grauen Himmel über ihnen und dachte an all die Leute, die sie in Liverpool gekannt hatten. Sie fragte sich, was sie wohl dazu sagen würden, wie Sam und sie jetzt lebten.
Sie hatte den Langworthys seit ihrer Ankunft alle zwei Wochen geschrieben und schämte sich jetzt, weil sie in ihren Schilderungen alles ein bisschen schönte. Sie benutzte das Wort »Hotel« statt »Wohnheim«, sie beschrieb den Central Park und die Fifth Avenue statt die Lower East Side. Das alles war zwar nicht wirklich gelogen, aber sie hatte das Heaney’s als ein exklusives Etablissement geschildert und Iras Laden als einen, in dem es Kleider zu kaufen gab und keine Secondhand-Kleider. Sie hatte freudig ihren Umzug in eine Wohnung verkündet, aber nicht hinzugefügt, dass sie sich darin nur ein Zimmer mit Sam teilte.
Sie rechtfertigte diese Auslassungen damit, dass die Leute zu Hause sich Sorgen machen würden, wenn sie die ärmlichen Umstände beschrieb, unter denen sie lebte, und dass sie Angst um sie haben würden, wenn sie offener war, was das Heaney’s anging. Aber jetzt, wo sie alle jene Menschen in Gedanken vor sich sah, die ihr etwas bedeuteten, hatte sie das Gefühl, dass sie sich mehr Sorgen darüber machen würden, wie sehr Sam und sie sich verändert hatten, als über die Art und Weise, wie sie lebten.
Ganz sicher würden sie es nicht gutheißen, dass sie in scharlachrotem Satin auftrat oder dass sie jeden Abend, wenn sie im Heaney’s spielte, ein oder zwei Gläser Rum trank. Sie wären entsetzt gewesen, dass sie sich mit einer Hure angefreundet hatte und dass der Mann, der ihr gefiel, ein Frauenheld war.
Was Sam anging, wären sie schockiert darüber gewesen, dass er jede Nacht wegblieb und plante, einen eigenen Spielsalon zu eröffnen. Mrs Bruce würde zu ihrer Flasche mit Riechsalz greifen!
Der Gedanke, dass sie ein Leben führte, das ihre alten Freunde niemals gutheißen würden, machte Beth traurig, doch sie hatte nicht vor, wieder eine überarbeitete, aber anständige Wäscherin zu werden. Jedes Mal, wenn sie auf der Bühne stand, fühlte sie sich wie ein Vogel, den man aus dem Käfig gelassen hatte, und sie liebte es, bewundert zu werden und Applaus zu bekommen.
Der einzige Teil ihres alten Lebens, der ihr fehlte, war Molly, und der dumpfe Trennungsschmerz verließ sie nie ganz. Doch gleichzeitig war sie froh, ihre kleine Schwester sicher in England zu
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