Echo Park
war er 1987 in einem Heim des County untergebracht gewesen. Das hieß, er hatte entweder keine Eltern mehr gehabt, oder sie waren nicht imstande gewesen, ihn aufzuziehen, sodass er ihnen weggenommen worden war. Dass das DCFS als seine Adresse angegeben war, bedeutete, dass er entweder in einem der Heime des DCFS oder bei einer Pflegefamilie untergebracht gewesen war. Bosch wusste das alles deshalb so genau, weil auch auf seinem ersten Führerschein eine solche Adresse gestanden hatte. Auch er war ein Pflegling des County gewesen.
Beim Verlassen der Führerscheinstelle in der Spring Street verspürte Bosch einen deutlichen Energieschub. Was ihm am Abend zuvor noch wie eine Sackgasse erschienen war, hatte sich als eine konkrete Spur entpuppt. Als er zu seinem Auto ging, begann sein Handy zu vibrieren, und er nahm den Anruf entgegen, ohne im Gehen innezuhalten oder einen Blick auf das Display zu werfen. Er hoffte, es wäre Rachel, damit er ihr die gute Nachricht gleich mitteilen könnte.
»Harry, wo sind Sie? Bei Ihnen zu Hause ist niemand drangegangen.«
Es war Abel Pratt. Langsam hatte Bosch die Nase voll, dass er ihm ständig hinterherschnüffelte.
»Ich bin gerade unterwegs zu Kiz. Was dagegen?«
»Nein, Harry, außer dass Sie sich bei mir melden sollten.«
»Einmal am Tag. Es ist noch nicht mal zehn!«
»Ich möchte jeden Morgen von Ihnen hören.«
»Wie Sie wollen. Morgen ist Samstag. Soll ich Sie da auch anrufen? Und was ist mit Sonntag?«
»Jetzt regen Sie sich nicht gleich so auf. Ich meine es doch nur gut mit Ihnen, das wissen Sie ganz genau.«
»Klar, Chef, wie Sie meinen.«
»Das Neueste haben Sie doch sicher schon gehört.«
Bosch blieb abrupt stehen.
»Wurde Waits gefasst?«
»Nein – schön wär’s.«
»Was dann?«
»Es kam ganz groß in den Nachrichten. Hier sind sie deswegen alle total aus dem Häuschen. Gestern Nacht wurde in Hollywood auf offener Straße ein Mädchen entführt. Auf dem Hollywood Boulevard in einen Lieferwagen gezerrt. Letztes Jahr haben sie dort diese neuen Überwachungskameras aufgestellt, und eine hat einen Teil der Entführung aufgenommen. Ich habe die Aufnahmen zwar noch nicht gesehen, aber sie sagen, es war Waits. Er hat sein Aussehen verändert – sich eine Glatze rasiert, glaube ich –, aber sie sagen, er ist es. Für elf ist eine Pressekonferenz angesetzt, und dann wird das Video zur Veröffentlichung freigegeben.«
Bosch spürte ein dumpfes Pochen in seiner Brust. Er hatte recht behalten mit seiner Annahme, dass Waits noch in Los Angeles war. Inzwischen wünschte er sich, er hätte sich getäuscht. Dabei fiel ihm auf, dass er vom Mörder immer noch als Raynard Waits dachte. Auch wenn er in Wirklichkeit Robert Foxworth war, wusste Bosch, dass er für ihn immer Waits bleiben würde.
»Haben sie das Kennzeichen des Lieferwagens?«, fragte er.
»Nein, es war verdeckt. Alles, was sie durchgegeben haben, ist, dass es ein stinknormaler weißer Econoline-Kastenwagen war. Wie der andere, den er fuhr, nur älter. Aber ich muss jetzt Schluss machen. Ich wollte nur sehen, was Sie so treiben. Hoffentlich bringt die OIS den Fall endlich zum Abschluss, damit Sie wieder zurück zur Einheit können.«
»Ja, das wäre schön. Ach, noch was, Chef, bei seinem Geständnis hat Waits gesagt, in den Neunzigerjahren hätte er einen anderen Kastenwagen gefahren. Vielleicht sollte die Spezialeinheit jemand damit beauftragen, nach alten Zulassungen unter seinem Namen zu suchen. Unter Umständen stoßen sie dabei auf ein Kennzeichen, das zu dem Lieferwagen gehört.«
»Einen Versuch wäre es jedenfalls wert. Ich werde es ihnen sagen.«
»Gut.«
»Bewegen Sie sich nicht zu weit von zu Hause fort, Harry. Und bestellen Sie Kiz schön Grüße.«
»Mache ich.«
Froh, dass ihm so schnell die Ausrede mit Kiz eingefallen war, klappte Bosch das Handy zu. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass ihm das Lügen gegenüber Pratt langsam zur Gewohnheit wurde, und darüber war er weniger begeistert.
Bosch stieg in sein Auto und fuhr zum Wilshire Boulevard. Durch Pratts Anruf war ihm die Brisanz der Sache noch deutlicher bewusst geworden. Waits hatte wieder eine Frau entführt, aber zum Glück gab es in den Akten keine Hinweise darauf, dass er seine Opfer sofort tötete. Das hieß, sein jüngstes Opfer war möglicherweise noch am Leben. Bosch wusste, er könnte die Frau vielleicht retten, wenn es ihm gelang, Waits aufzuspüren.
Im Jugendamt war es laut und voll. Er musste an einem Schalter im
Weitere Kostenlose Bücher