Echo Park
worden. Aber für Bosch war es ein Punkt, den es zu berücksichtigen galt. Von Waits’ Wohnung in West Hollywood war es mindestens eine halbe Stunde Fahrt bis Echo Park. Das war ziemlich viel Zeit, um mit ein paar Müllsäcken voller Leichenteile durch die Gegend zu kutschieren. Dazu kam noch, dass der Griffith Park nicht nur größer war und mehr abgeschiedene und schwer zugängliche Stellen hatte als die Gegend um das Stadion, sondern auch wesentlich näher an West Hollywood lag und deutlich besser geeignet gewesen wäre, sich der Leichen zu entledigen.
Für Bosch konnte das nur bedeuten, dass Waits in Echo Park ein ganz bestimmtes Ziel im Auge gehabt hatte. Das war bei den ursprünglichen Ermittlungen übersehen oder als unerheblich abgetan worden.
Als Nächstes schrieb er zwei Wörter.
Psycho Profil?
Für den Angeklagten war kein psychologisches Gutachten erstellt worden, und das wunderte Bosch. Vielleicht, dachte er, hatten dem strategische Erwägungen der Anklage zugrunde gelegen. Möglicherweise hatte O’Shea diesen Weg ganz bewusst nicht beschritten, weil er genau wusste, wohin er führen würde. Er wollte Waits anhand der Fakten belangen und in die Todeszelle schicken. Er wollte der Verteidigung keine Handhabe bieten, auf Schuldunfähigkeit zu plädieren.
Dennoch, dachte Bosch, hätte ein psychologisches Gutachten hilfreich sein können, um den Angeklagten und seine Taten besser zu verstehen. Es hätte auf jeden Fall gemacht werden sollen. Ganz unabhängig davon, wie weit sich der Verdächtige diesbezüglich kooperationswillig gezeigt hätte, hätte ein Profil erstellt werden können anhand seiner Taten, seines Lebenslaufs, seines Äußeren, der Funde in seiner Wohnung und der Aussagen von Menschen aus seinem Lebensumfeld. Ein solches Profil hätte sich außerdem für O’Shea als nützliche Waffe gegen jegliche Versuche der Verteidigung erweisen können, auf Schuldunfähigkeit zu plädieren.
Doch dafür war es jetzt zu spät. Die Polizei hatte zwar eine kleine psychologische Abteilung, aber bis zu Waits’ Vernehmung am kommenden Tag konnte Bosch keine Hilfe mehr anfordern. Und eine Anfrage an das FBI hätte bestenfalls in zweimonatigem Warten resultiert.
Was letzteren Punkt anging, kam Bosch plötzlich eine Idee, aber er beschloss, die Sache noch eine Weile reifen zu lassen, bevor er konkrete Schritte unternahm. Fürs Erste entschied er, eine kurze Pause einzulegen, und er stand auf, um seine Kaffeetasse nachzufüllen. Er verwendete eine richtige Porzellantasse, die er aus der Abteilung Offen-Ungelöst mit in die Cafeteria genommen hatte, weil er sie einem Styroporbecher vorzog. Die Tasse stammte von einem berühmten Autor und Fernsehproduzenten namens Stephen Cannell, der im Zuge seiner Recherchen für ein Projekt einige Zeit mit der OU-Einheit verbracht hatte. Sie war mit Cannells Rat an alle Autoren bedruckt: Worum geht es dem Täter? Bosch gefiel dieser Spruch, denn das war auch die Frage, die sich ein guter Detective immer wieder stellen sollte.
Er kehrte an seinen Tisch zurück und nahm sich die letzte Akte vor. Sie war dünn und die älteste der drei. Er schlug sich alle Gedanken an Echo Park und psychologische Profile aus dem Kopf, setzte sich und öffnete den Ordner. Er enthielt die Berichte und Ermittlungsergebnisse in Zusammenhang mit einer Festnahme wegen Voyeurismus im Februar 1993. Es war das einzige Mal, dass Waits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, bevor er dreizehn Jahr später mit den Leichenteilen in seinem Lieferwagen angehalten wurde.
In den Berichten hieß es, dass Waits im Garten eines Hauses im Fairfax District festgenommen worden war. Eine an Schlaflosigkeit leidende Nachbarin hatte nachts zufällig aus dem Fenster gesehen und einen Mann bemerkt, der durch ein Fenster auf der Rückseite des Nachbarhauses spähte. Die Frau weckte ihren schlafenden Ehemann, der prompt aus dem Haus schlich, den Mann überrumpelte und ihn so lange festhielt, bis die Polizei eintraf. Der Ertappte befand sich im Besitz eines Schraubenziehers und wurde wegen Voyeurismus angeklagt. Er trug keinen Ausweis bei sich und gab an, sein Name wäre Robert Saxon. Er sagte, er sei erst siebzehn. Aber sein Schwindel flog auf, und er wurde wenig später als Raynard Waits, 21, identifiziert. Bei der Festnahme waren ihm Fingerabdrücke abgenommen worden, und diese ergaben bei einem Vergleich mit Unterlagen der Zulassungsstelle eine Übereinstimmung mit einem Führerschein, der neun Monate zuvor an
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