Echt easy, Frau Freitag!: Das Allerneueste aus dem Schulalltag
könnte.«
»Haaamid«, sage ich in einem Tonfall, der klarmachen soll, dass ich die Geschichte erstens nicht glaube und zweitens nicht an weiteren Geschichten dieser Art interessiert bin.
Hamid schweigt. Dafür setzt sich jetzt auch noch Taifun zu uns in die erste Reihe und fängt an zu erzählen: »Haben Sie gehört, dass Firats Mutter ihn seine Schamhaare rasiert.«
»Wer hat das gesagt?«, fragt Hamid.
»Firat sein Kuseng«, antwortet Taifun.
Ich kenne weder diesen Firat noch seinen Kuseng, und vorstellen will ich mir die ganze Sache auch nicht. Muss ich aber trotzdem, Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten -mäßig.
»Warum macht die Mutter das?«, frage ich.
Taifun weiß es: »Weil der sich immer schneidet.«
»Aha. Taifun, hast du schon Mathe fertig?«
»Fast. Iih, stell dir mal vor, die Mutter …«
Hamid verzieht das Gesicht. Orkan auch. Mein Bedarf ist gedeckt. »Taifun, jetzt hör auf damit. Mach mal Mathe.«
»Können wir Stadt-Land-Fluss spielen?«, fragt Vincent.
»Ja, gute Idee«, antworte ich schnell. Bloß das Thema wechseln. Und mit der gleichen Inbrunst, mit der es gerade noch um Sperma und Schamhaarrasur ging, widmen wir uns nun Ländern, Automarken und Fußballspielern.
Schulbesuch ohne Unterricht
»Chanel, wo warst du denn gestern?« Chanel, diese Dauerschwänzerin. Seit das Schuljahr begonnen hat, schwänzt sie, was das Zeug hält – und das Zeug hält viel. Dieses Halbjahr war sie erst acht Tage in der Schule. Ich dokumentiere jede Fehlzeit penibelst, stelle den Kontakt zum Jugendamt her, schreibe eine Schulversäumnisanzeige, dann noch eine und telefoniere regelmäßig mit Mama Chanel. Die kommt dann immer in die Schule, wir reden zusammen mit Chanel, und die verspricht jedes Mal: »Jetzt ändert sich alles.« Dann kommt sie zwei Tage und dann fehlt sie wieder wochenlang, bis ich erneut die Mutter zum Gespräch einlade.
»Erziehungshilfe? Nein, so was brauchen wir nicht.«
»Aber Sie schaffen es ja anscheinend nicht, Chanel morgens aus dem Bett zu schmeißen.«
»Ja, ich bin wahrscheinlich einfach eine zu nette Mutter. Ich bin zu lieb.«
»Aber Mama Chanel, eine nette Mutter würde alles dafür tun, dass ihre Tochter zur Schule geht und einen guten Abschluss macht. Sie verbauen Ihrem Kind doch alles. Chanel bleibt im Bett, und später kann sie nur langweilige Hilfsjobs machen, weil sie keinen Schulabschluss hat.«
Seit einer Woche ist Chanels beste Freundin Marina nun in unserer Klasse. Chanel sagte am Anfang überglücklich: »Ab jetzt wird ALLES anders! Sie werden sehen! Jetzt komm ich IMMMER!«
Das klang gut. Aber auch bekannt. Wie oft habe ich das schon von ihr gehört. Aber wer weiß, jetzt geht ihre beste Freundin in ihre Klasse, was sollte sie da noch daran hindern, in die Schule zu kommen?
Am Montag klebt Chanel an ihrer BF, zeigt ihr die Schule, erklärt, wie es bei uns läuft, und strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Dienstag das Gleiche. Mittwoch höre ich, dass sie sich in den letzten beiden Stunden mit Bauchschmerzen nach Hause schicken ließ. Donnerstag bleibt sie zu Hause (wahrscheinlich immer noch Bauchschmerzen). Freitag ist sie in der Schule, die anderen Schüler sehen sie auf dem Hof. Im Unterricht taucht sie allerdings nicht auf. »Ich kam zu spät, also erst zur zweiten Stunde, und dann habe ich mich nicht in den Unterricht getraut.« In der dritten Stunde hatte sie einen Termin beim Schuldistanziertenprojekt »Komm mal aus den Puschen.« Da will sie aber nicht hin, es wird ja alles anders ab jetzt.
Am folgenden Montag fehlt Chanel in der ersten Stunde. Nach der zweiten Stunde frage ich den Kollegen im Lehrerzimmer: »War Chanel eben bei dir im Unterricht?«
»Nein.«
Ich sehe sie durchs Fenster auf dem Hof. Denke: Okay, jetzt ist sie da. Wahrscheinlich hat sie verschlafen und ist dann nicht zum Unterricht gegangen. Gleich hat sie Sport. Ich habe eine Freistunde und bleibe im Lehrerzimmer sitzen. Der Kollege hat auch frei und geht rauchen. Als er wiederkommt, erzählt er mir: »Du, die Chanel habe ich gerade draußen gesehen.«
»Wie draußen? Die hat doch jetzt Sport. Na ja, ich habe sie ja gleich noch in der fünften Stunde, dann werd ich sie mir mal vornehmen.«
In der fünften Stunde sind alle da – auch Chanels Freundin. Marina ist sowieso immer ganz brav da. Nur Chanel herself fehlt. Sie taucht natürlich auch in der sechsten Stunde nicht auf.
Am Dienstag dann sehe ich sie in der Pause: »Chanel, komm mal her! Wo warst du denn
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