Echte Biester: Roman (German Edition)
mindestens zwanzig Mal angesehen –, und inspirierte ihn dazu, den Rest der Folge ebenso denkwürdig zu gestalten. Während er im Whirlpool lümmelte und zusah, wie die Wasserstrudel seinen Bauch wie einen Wackelpudding erzittern ließen, malte er sich aus, wie sich in Zukunft alle Talkshows um ihn reißen würden. Und wie er das Publikum mit atemberaubenden Geschichten aus den Sümpfen von Florida in den Bann schlug.
Die meisten Menschen, die beinahe von einem Riesenalligator ertränkt worden waren, wären dankbar, noch am Leben zu sein, und würden sich hüten, so etwas noch mal zu wiederholen. Solche Überlegungen kamen Derek Badger jedoch überhaupt nicht in den Sinn, während er genüsslich französischen Wein trank und durch seine seifigen Zehen hindurch die funkelnden Lichter von Miami betrachtete. Seine Begegnung mit dem Tod hatte lediglich dazu geführt, dass er sich unbesiegbar vorkam.
Hart wie Eisen.
Unverwüstlich.
»Auf Alice«, sagte er und hob sein Glas.
Die Entscheidung, keines von Mickey Crays Tieren mehr zu verwenden, war riskant, aber Risiko war genau das, was Derek wollte. Er wusste, dass wilde Tiere gefährlicher und unberechenbarer waren als zahme. Die frustrierende Szene mit dem Python war ein gutes Beispiel dafür – Crays träge Schlange war ungefähr so aggressiv gewesen wie ein Gartenschlauch.
Nein, um ein Höchstmaß an Dramatik zu erreichen, wollte Derek, dass alles echt und unverfälscht war, und er freute sich ungemein darauf, von den wilden Bewohnern der Everglades betatzt, gestochen, gekratzt, gebissen und angeknabbert zu werden.
Sein Wunsch sollte in Erfüllung gehen.
13
Wahoo war an Mickeys Schnarchen gewöhnt, das klang wie das Knattern eines defekten Trucks. Deshalb wachte er nicht davon auf. Sondern von einem Traum, in dem es um Tuna ging.
Ihr wütender Dad jagte ihr über den Parkplatz von Walmart nach, und Wahoo versuchte, ihn festzuhalten, damit sie fliehen konnte. In dem Traum war das Gesicht von Tunas Vater nur eine formlose graue Fleischmasse, ohne Mund, Nase und Ohren. Wahoo konnte sich nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Mann aussah, der seine Tochter verprügelte.
Wahoo schlängelte sich aus dem Schlafsack und kroch aus dem Zelt, das er sich mit seinem Vater teilte. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, der Himmel war nach wie vor bedeckt. Obwohl die Sonne schon seit einer Stunde schien, war die Luft unter dem Blätterdach kühl und vom muffigen Geruch der exotischen Vegetation erfüllt. In der Ferne stieß ein großer Blaureiher ein empörtes Krächzen aus.
Mickey Cray erwachte, indem er eine Reihe von Grunzlauten von sich gab. Da Wahoo wusste, dass sein Vater gleich nach heißem Kaffee verlangen würde, entfachte er das Lagerfeuer. Es ging nicht das geringste Lüftchen, und die Moskitos waren entzückt, ihn wiederzusehen. Tuna kam aus ihrem Zelt, murmelte verschlafen »Morgen« und nahm im Schneidersitz auf der Erde Platz.
Als Mickey das Drehbuch, das sie in der Hand hatte, bemerkte, fragte er: »Was liest du denn da, Schätzchen?«
»Shakespeare«, antwortete sie und schlug lässig das Drehbuch auf, damit die Titelseite nicht zu sehen war. »Ich spiele nämlich in einer Sommeraufführung von Hamlet die Ophelia.«
Wahoo war beeindruckt, wie schnell sie sich diese plausibel klingende Lüge ausgedacht hatte.
»Shakespeare. Aha«, sagte Mickey in völlig gleichgültigem Ton und langte nach der Kaffeekanne. »Hey, hast du zufällig noch mehr von diesen Kopfschmerztabletten?«
»Ich bin gern bereit, zwei davon gegen eine Tasse Kaffee einzutauschen«, erwiderte Tuna.
»Abgemacht.«
»Gieß mir auch einen ein«, sagte Wahoo.
Mickey lachte. »Seit wann trinkst du denn dieses Zeug?«
»Nimm deine Tabletten, Pop.«
Tuna schlug vor, zum Frühstücken ins Hauptlager zu gehen, von dem verführerische Düfte herüberwehten. Doch Wahoos Vater bestand wie schon am Abend zuvor darauf, ihr Essen selbst zuzubereiten, und zauberte aus Schinken und Eipulver eine bescheidene, aber leckere Mahlzeit. Kurz darauf hörten sie das Tuckern von Sumpfbooten, was bedeutete, dass das TV-Team bald aufbrechen und zum Drehort der Eingangsszene fahren würde. Tuna, Wahoo und Mickey eilten durch den Wald und gesellten sich zu den anderen, die sich gerade aus einem Hundertlitertank ihre Feldflaschen mit kaltem Wasser abfüllten und sich die Taschen mit Müsliriegeln vollstopften. Raven Stark war wieder da. Derek hingegen war noch nicht eingetroffen.
Es dauerte
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