Echte Biester: Roman (German Edition)
Schmerz war so heftig, dass er nicht mal daran dachte, wie lächerlich er mit der flatternden Fledermaus im Gesicht aussehen musste. Unmittelbar darauf vernebelten sich seine Sinne. Das Letzte, was er mitbekam, war, dass der hinterwäldlerische Tiertrainer sich über ihn beugte und die zappelige Fledermaus mit einem Zweig kitzelte.
Als Derek Stunden später in seinem Zelt erwachte, hatte er Schüttelfrost und war in Schweiß gebadet. Seine Zunge war zur Größe einer Knackwurst angeschwollen, sodass er nicht mehr sprechen konnte – zumindest nicht so, dass man ihn verstand. Was eigentlich keine Rolle spielte, denn es gab nichts, was er sagen wollte.
Fledermauszähne sind nicht sonderlich hygienisch, und die Bulldoggfledermaus hatte eine exotische Infektion auf Derek übertragen, die Wahnvorstellungen und furchtbare Ängste in ihm auslöste. Alles, was er wollte, war, wegzulaufen und sich zu verstecken.
Als er aus dem Zelt wankte, war ringsum alles finster und ruhig. Er schnappte sich eine Taschenlampe und die teure Helmkamera, die er manchmal bei Aufnahmen trug, um den Zuschauern vorzugaukeln, dass er bei seinen Expeditionen ganz auf sich gestellt sei.
Ohne einen genauen Plan zu haben, wankte Derek durch das dichte Gebüsch. Erst später, als er oben auf einer Würgefeige hockte, kehrten seine wirren Gedanken zu der Kreatur zurück, die ihn gebissen hatte. War das möglicherweise eine Vampirfledermaus gewesen? War es denkbar, dass er selbst dabei war, sich in einen unheimlichen Dämon der Nacht zu verwandeln?
Wenn er nicht so krank gewesen wäre, hätte Derek sich über eine derart absurde Idee kaputtgelacht. Doch nachdem die Vorstellung sich in seinem Kopf eingenistet hatte, geriet seine fiebrige Fantasie außer Rand und Band.
Er beschloss, sich genau so wie Dax Mangold zu verhalten, nachdem dieser von einer Fledermaus (und all den anderen Kreaturen) attackiert worden war. Als er merkte, wie sein verderbtes Blut kalt durch seine Adern strömte, floh Dax Mangold in den tiefen Wald, um dort gegen die Mächte der Finsternis zu kämpfen und seine Seele zu retten.
Deshalb verbrachte Derek den Rest der Nacht damit, sich an den Stamm des Baums zu klammern und zu überlegen, ob er am Morgen mit dem Kopf nach unten am Ast hinge und ob ihm Fledermausflügel gewachsen sein würden.
Kurz nach Tagesanbruch hörte er, wie ein Sumpfboot zur Insel kam. Bald darauf fingen Raven und ein paar Leute vom Team an, seinen Namen zu rufen und lärmend nach ihm zu suchen. Als sie an dem alten Feigenbaum vorbeikamen, blickte keiner von ihnen nach oben ins Geäst, wo Derek sich versteckte. Nach einer Weile kletterte er nach unten und schlich sich zum Ufer, wo Links Sumpfboot vertäut war.
Im Gegensatz zu echten Überlebenskünstlern hatte Derek von Natur aus keinerlei Orientierungssinn. Ziellos steuerte er das flachkielige Boot durchs Wasser, bis es schließlich das Ufer einer anderen Bauminsel rammte. Da das Sumpfboot ziemlich schnell fuhr, wurde Derek durch den Aufprall in die Luft geschleudert.
Er kam mit seiner Helmkamera auf, überschlug sich zweimal und landete schließlich in einem unangenehm riechenden Giftefeudickicht. Dort lag er eine Weile und kratzte sich wie wild, bis ein Sonnenstrahl durch das Blätterdach drang und ihm direkt in die Augen schien.
Voller Schrecken fiel Derek ein, dass Vampire im Tageslicht entweder Feuer fangen oder sich auflösen. Er geriet in Panik, kroch zum Boot zurück und quetschte sich unter den breiten Bug, wo er wie ein überdimensionaler Maulwurf kauerte und sein Gesicht mit dem verbeulten Helm abschirmte.
Um die ersten Symptome des Vampirismus abzuwehren, sang er jenes Liedchen vor sich hin, das Dax Mangold in Die Rache des Blutmonds ständig auf den Lippen hatte:
»Eee-ka-laro! Eee-ka-laro! Gumbo mucho eee-ka-laro!«
Was das bedeuten sollte, wusste Derek nicht, doch das Wort eee-ka-laro erinnerte ihn an Éclairs, seine Lieblingsnachspeise. Schokoladenéclairs, gefüllt mit Vanillecreme!
Unmittelbar darauf fing Dereks Magen an, wütend zu knurren – ein Tier, das wilder und grimmiger war als ein läppischer Vampir.
Dass Derek vermisst wurde, raubte Sickler nicht gerade den Schlaf, im Gegenteil: Je länger der Überlebenskünstler verschwunden blieb, desto besser war es für Sicklers Geschäft.
Bevor sie zu ihrer Suche aufgebrochen waren, hatten die Sumpfbootfahrer und das TV-Team sich in Sicklers Souvenirladen mit Mineralwasser, Limonade, Kaffee, Snacks und Sonnenschutzmittel
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