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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Landesinnere bringen sollten, erläuterte er seine Vorstellungen von Treue, allerdings erstmals etwas genauer. Die Klitoris ist ja – wie wir alle zu wissen glauben – verantwortlich für das Lustempfinden. Und dieses Empfinden sorgt dafür, dass das Weib nicht nur Lust empfindet bei der Penetration und Stimulation durch ihren eigenen Ehemann. Nein, auch ein völlig unbedarfter, dahergelaufener Schelm könnte bei ihr dieselben, schwer zu kontrollierenden Stimmungsschwankungen hervorrufen. Das gilt es zu verhindern. Schon in der Wurzel. Am besten noch in einer Zeit, in der die Frau noch keine Erfahrungen gesammelt hat. Und wenn es die mit ihrem einzigen Mann sein sollten. Dem Ehemann. Also ist am besten, man befreit das weibliche Wesen schon in der Kindheit von den Versuchungen der Sinnlichkeit. Im Idealfall.
    Herbert hat mir von anderen Europäerinnen erzählt. Die sich dem Ritual unterzogen haben. Um ihrem zukünftigen Ehemann ein Geschenk zu machen. Diese Frauen hatten dann eine Zeitlang damit zu kämpfen, dass sie sich erinnern konnten. An das Leben vor dem Ritual. Und an seine Freuden. Das muss sehr schwer sein, gab sogar Herbert in einem wirklich mitfühlenden Ton zu. Sehr schwer ist das für die Frauen, erzählte er mir. Schwer ist es, sich zu erinnern, dass es angenehm ist und Sinne raubend, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Und wenn es der eigene ist. Und mit einem Mal ist da nichts mehr. Nichts, was man fühlt. Nichts, das einen zu erregen beginnt. Nichts, was einen liebesbereit macht. Nichts, außer das Gefühl, mit der Zunge an einem Löschblatt kleben zu bleiben. Na gut, meinte Herbert, das ist eben der Preis der Liebe. Der Liebe, so wie er sie in sich fühlt. Die Liebe, die auf einer expliziten Ausschließlichkeit beruht. Eine Liebe, in der das Weib sich ganz und gar dem Mann ergibt. Und dafür seinen Schutz erhält. Und seine Fürsorge und seinen offenen Kamin. In der Villa.
    Ich bin da gesessen und habe ihm mit offenem Mund zugehört. Im wahrsten Sinn des Wortes. Mit einem Mal ist mir bewusst geworden, wie viele verschiedene Wellen es auf diesem Planeten gibt. Über sechs Millionen. Welten. Gleichzeitig. Sechs Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten. Und jeder von ihnen ist sein eigener Kosmos. Jeder. In keinen von ihnen kann man hineinschauen. In keinen von ihnen. Man könnte glauben, dass sie alle ähnliche Wünsche und Träume haben, weil sie doch alle ähnlich aussehen. Alle haben zwei Arme und zwei Beine und einen Kopf mit zwei Augen und Ohren. Aber dieser Rückschluss ist eine der größten Teufelsfallen, die der Herr der Finsternis jemals errichtet hat. Die Vermutung! Du erinnerst dich? Ich glaube, wir hatten das Wort schon. Die Vermutung, dass wir einander ähneln, ist der Lockvogel, auf den wir hereinfallen.
    Woran hat man erkennen können, was Herberts tiefste Sehnsüchte sind? An seinem lächerlichen Mittelscheitel? Am Bugatti? An nichts! Isabell. An nichts! Und das ist die Botschaft im Verhältnis von uns – zur Welt. An nichts erkennt man, ob ein Mensch in unseren Augen schwer geisteskrank ist oder nicht. An nichts.
    Ich habe einmal ein hochinteressantes Buch gelesen von einem Polizisten. Profiler heißen diese Leute, die sich mit den psychischen Deformationen von Serientätern auseinandersetzen. Und der Polizist ist zur selben Erkenntnis gelangt wie ich. Kein Scherz. Ich und ein weltbekannter Profi auf dem Gebiet sind zu derselben Quintessenz gekommen. Man sieht einem Serienmörder in keinem Augenblick seines Alltagsverhaltens an, dass er einer ist. Sie gehen, stehen, schlafen, essen Kaugummi und spucken ihn verstohlen auf der Straße aus – genau wie du und ich. Die Vermutung, dass ein Engel aus der Shampoowerbung auch zu Hause einer ist, hat schon mancher Mann, der aus dieser Vermutung heraus ein Model geheiratet hat, mit dem Ruin bezahlt. Auch du siehst ja wie ein Engel aus, Isabell. Kleiner Scherz. Ich hoffe, dass sich Stefan morgen direkt ruinieren wird. Großer Scherz …
    Aber nun zurück zu Herbert. Da saß er also denn vor mir und hat mich mit leuchtenden Augen angehimmelt. Angehimmelt. Ich konnte sehen, dass in seinem Gehirn literweise Dopamin ausgeschüttet wurde. Das ist die Substanz, die uns bei außergewöhnlichen Gefühlsausbrüchen hoch glücklich macht – aber das weißt du ja sicher. Da saß er also … mit Dopamin überschwemmt und hat mir erzählt, dass er eine Spezialklinik buchen wird – in dem zentral-afrikanischen Land, in das wir reisen werden. Zur

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