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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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Also meinen Wohnblock.
    Die sehen einer aus wie der andere. Am ersten Abend hatte ich echt Probleme damit, meinen Eingang wiederzufinden. Echt. Weil ich so lange spazieren war. Um mich an die Umstellung zu gewöhnen. Von der Innenstadtwohnung hier heraus … das war schon eine Umstellung. Na, und da bin ich eben am ersten Abend ein wenig spazieren gegangen. Mit mir. Ich habe mich völlig überraschend auf einen Spaziergang eingeladen. In die Umgebung. Und das ist okay. Die Umgebung. Das Umfeld hier ist ziemlich grün. Braun und grün. Weil die Wohnblocks schon am äußersten Stadtrand liegen. Da sind die Felder praktisch vor der Türe. Und die sind zurzeit braun und grün. Die Felder. Sollen wahrscheinlich Kartoffeln werden. Die grünen Felder. Also da bin ich am ersten Abend rumgerannt und nach zwei bis drei Stunden über all die grünen und braunen Riesenfelder hab ich doch tatsächlich eine Dönerbude gefunden. Am Eck zu einer Landstraße. Unglaublich. Aber wahr. Also hab ich mich hingestellt und einen Wodka und ein Pils bestellt. Das hat gutgetan. Nach der langen Wanderschaft. Was weniger gutgetan hat, waren die Blicke. Die Bude war natürlich hauptsächlich von Türken und Schwarzen besucht. Also Männer. Irgendwie bin ich mir dann schon etwas fehl am Platz vorgekommen. Und dann die Blicke! Als hätten sie noch nie ein deutsches Mädel gesehen, das in der freien Natur Entspannung sucht. Unglaublich. Ich habe dann nur überlegt, wie ich die Situation etwas entschärfen könnte. Ich hatte nämlich meinen Jeansrock an. Den Mini. Aus Ibiza. Den mit dem roten eingesetzten Zippverschlussstoff. Egal. Ich dachte, ich muss irgendwie häuslich wirken und habe mir dann ein Dürüm bestellt. Zum zweiten Bier. Das hat mir etwas Hausfrauliches gegeben. Glaube ich. Sie haben mich dann noch auf drei oder vier Wodka eingeladen. Sehr freundlich von ihnen. Sie haben mir erzählt, dass sie im Industrieviertel arbeiten und sich hier in den Baracken eine Gemeinschaftswohnung teilen.
    »Wo sind die Baracken?«, habe ich gefragt. Und dann haben sie mir die gezeigt. Die waren gleich um die Ecke. So richtige Holzbaracken mit Wellblechdächern. So wie man das aus Filmen kennt. Jetzt erlebe ich das also auch noch!, dachte ich mir, als ich die schmalen Betten und die dunkelroten Decken gesehen habe. Aus Polyester. Schädlicher kann man wohl nicht mehr schlafen als unter Polyesterdecken. Das kann man messen. Am biomagnetischen Feld. Das wird wohl gestört. Wenn man unter so einem Kunststoff schläft. Was für eine Welt! Habe ich mir gedacht. Dann bin ich wieder gegangen. Sie haben mir den Weg gezeigt. Die Richtung zu meinen Wohnblocks, meine ich. Die haben in der Dunkelheit ganz weit weg am Horizont geleuchtet. Wie ein Sack voll Perlen, der einem Riesen aus der Hand gefallen ist. Einem Riesenkind. Einem riesigen Riesenkind sind die Perlen aus der Hand gefallen und haben sich in die Lichter meines neuen Zuhauses verwandelt. Was für ein poetischer Moment, dachte ich mir, als ich die Abkürzung über die braunen Ackerfurchen gestolpert bin. Gott sei Dank hatte ich noch die Cowboy- Boots an. Vom Kartonschleppen beim Umzug. Wenn ich in meinen Sandalen gegangen wäre … Ich will gar nicht daran denken. Oder in meinen schwarzen High-Heels. Dann hätten sie mich vielleicht nicht so sang- und klanglos aus ihrer Baracke gelassen … diese einsamen Männer … am Stadtrand.
    Ich musste lachen und habe mich gefragt, woher ich den Mut gefunden hatte, mutterseelenallein mit sieben Männern in ihrem Schlafzimmer über Polyesterdecken zu philosophieren. Ich habe ihnen nämlich den Rat gegeben, sich auf der Stelle Wolldecken zu besorgen. Wenn schon richtige Bettausstattung nicht vorgesehen war. In ihrem Arbeitsvertrag. Ich weiß gar nicht, ob die alle einen richtigen Arbeitsvertrag hatten. Was sie alle hatten, war Sehnsucht. Normale Sehnsucht.
    Komplimente haben sie mir gemacht. Ohne Ende. Über meine Haare … meine schöne Haut … und meine Sommersprossen. Das hat mich echt gerührt. Sieben richtig harte Kerle mit einem Kloß im Hals und stehen da und machen einer einsamen, betrunkenen Frau im Jeansminirock Komplimente. Wann erlebt man das schon? Ich bin sicher, dass du das nicht erlebst. Isabell! Du!! Nicht!
    Weißt du überhaupt, wo deine Felder liegen? An deinem Stadtrand? Und wo die Baracken stehen? In denen die Männer schlafen, die für uns hier die Arbeit machen. Die Drecksarbeit, für die heute keiner unserer Männer auch nur einen Fuß aus dem

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