Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
erklärt, vertuscht und vergessen. So wollte es zumindest Barbara Dawson, und Superintendent Casey wollte das offensichtlich auch. Linda wollte es möglicherweise nicht. Vielleicht hatte sie mich deshalb mit dem Fall beauftragt, weil sie ahnte, was passieren würde, aber trotzdem die Wahrheit wissen wollte – eine Wahrheit, vor der sie sich gleichzeitig fürchtete. Tja, Pech gehabt. Ihr Mann war wieder aufgetaucht, und damit war der Fall beendet. Vielleicht sollte man sich, um die Wahrheit zu erfahren, nicht unbedingt an einen Privatdetektiv wenden.
Es wurde rasch dunkel. Ich stellte das Geschirr in die Spüle, schloss die Haustür ab, ging ins Bett und schlief acht traumlose Stunden. Als ich aufwachte, regnete es in Strömen aus einem schiefergrauen Himmel. Schon besser: Das war ein irischer Sommermorgen, wie ich ihn kannte. Er sorgte dafür, dass mir die vergangenen paar Tage wie ein Delirium vorkamen, ein Nach-Beerdigungs-Fiebertraum. Während ich meinen Tee trank, wusste ich plötzlich genau, was ich zu tun hatte. Es war ganz einfach: Ich würde meinen Vater für tot erklären lassen und alle Verantwortung für das Haus an Doyle & McCarthy übertragen. Sie sollten es für mich verkaufen, ihre vermutlich horrende Provision vom Erlös abziehen und mir den Rest überweisen. Nach Kalifornien. Denn dahin wollte ich aufbrechen, mit dem nächstmöglichen Flug. Ich hatte genug von Dublin, wo jeder irgendjemands Bruder, Cousin oder Exfreundin war und wo man keine klaren Antworten bekam, wo mein Dad deinen Dad kennt und deiner meinen und wo hinter jeder Ecke die Vergangenheit lauert. »Das geht alles auf Fagan’s Villas zurück.« Meinetwegen. Ich jedenfalls würde nicht dorthin zurückgehen. Ich würde an den Ort zurückkehren, wo man hinging, wenn einem Vergangenheit, Familie und Geschichte zu viel wurden, an den Ort, wo man nochmal von vorn anfangen, sich selbst neu erfinden konnte. Wo man sein konnte, wer man wollte. Ein glückliches Waisenkind in einem Land, wo mich keiner kannte.
Blut.
Man kann es nicht wegwaschen. Heißes Wasser fixiert den Fleck nur, Bleichmittel färbt ihn grün. Kaltes Wasser entfernt zwar den sichtbaren Fleck, doch das Blut ist immer noch da, klebt am Boden, an den Wänden, an den Vorhängen, am Kamin. Und selbst wenn man die Dielen abschleift, die Gardinen wechselt, die Wände neu verputzt und streicht, man übersieht doch immer etwas, einen Tropfen, einen Spritzer, eine Schliere. Inzwischen ist es längst ein anderer Kamin, nicht mehr der, vor dem sie ihn erschossen haben. Ja, sie waren es beide. Er feuerte den ersten Schuss ab, sie erledigte den Rest. Eigentlich hätte er es allein übernehmen sollen. Sie wollte nur zuschauen. Aber man kennt das ja: Wenn es um Blut geht, kommt es meist ganz anders, ab man denkt.
Sie sagte, mit einer Pistole sei es sauberer. Doch das gilt nur, wenn man mit Pistolen umgehen kann, und das konnte er nicht. Seine Hand zitterte, und der Schock, die Fassungslosigkeit und schließlich die Angst in den Augen seines alten Freundes machten alles nur noch schlimmer. Sie brüllte ihn an, er solle endlich schießen, und einen Moment lang hätte er am liebsten sie erschossen, aber dann riss er sich zusammen, schloss die Augen und drückte ab. Die Kugel traf ihren Mann in den Unterleib und durchschlug eine Arterie. Sofort war überall so viel Blut, als hätte man ein Schwein abgestochen. Die Pistole fiel scheppernd zu Boden. Ihr Liebhaber sah seinen alten Freund an, der auf die Knie gesackt war und vor Schmerzen schrie, und musste sich übergeben. Die Frau hob die Pistole auf und richtete sie auf ihren Mann. Er war kaum zu verstehen, vielleicht gab er gar keine Wörter von sich, doch er bettelte um Gnade, eindeutig, er flehte um sein Leben. Zu spät. Das Blut breitete sich unter ihm zu einer dunklen Lache aus. Sie sah sich um. Ihr Liebhaber war mit dem Kotzen fertig – jetzt heulte er. Sie betrachtete ihn, nicht verächtlich, sondern resigniert. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass sie die Hauptlast würde tragen müssen.
Sie hatte Sandalen an, und zwischen den Zehen spürte sie das Blut. Einen Augenblick lang musste sie daran denken, wie sie als Kind nasse Füße bekommen hatte, wenn sie durch den Regen nach Hause lief. Dann dachte sie an das Meer. Und dann schoss sie ihrem Mann zweimal in den Rücken. Jetzt schrie er nicht mehr, aber man hörte ihn immer noch atmen. Oberarm und Schulter taten ihr weh vom Rückstoß der Pistole. Der Abzug ging schwer,
Weitere Kostenlose Bücher