Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
rasier dich, Mann, und dann rasier ich dich nochmal. Antwortest du jetzt? Oder willst du lieber dein tolles weißes Hemd voll bluten?«
Seine Stimme klang gepresst, fast hysterisch. Er lachte, ein schriller, kratziger Ton wie von einem Bohrer, der auf Metall trifft. Ich machte eine Finte nach rechts und schaffte es, einen kurzen Blick auf ihn zu werfen: dunkelblauer Trainingsanzug, fettiges kurzes Haar, graues Gesicht. Er zuckte erschrocken zurück, dann ging er wieder mit der Klinge auf mich los, den Arm von der Schulter an durchgestreckt. Ich stützte mich zwischen den Mänteln an der Tür ab, und als das Messer an meinem Gesicht vorbeizuckte, packte ich ihn an Handgelenk und Ellbogen und rammte seinen Unterarm mit aller Kraft gegen den schweren Messingkleiderhaken. Er schrie auf und versuchte, das Messer wieder in meine Richtung zu bringen, aber ich wandte mich nach links, zu ihm hin, verdrehte ihm den Arm und rammte ihn noch einmal gegen den Kleiderhaken. Ich hörte ein Krachen wie splitterndes Holz, gefolgt von einem deutlich längeren Schrei, dann schlitterte das Messer klirrend über die Bodenfliesen. Ich lief ihm nach, steckte es ein und drehte mich um, um nachzusehen, wie es dem Besitzer ging. Eigentlich hatte ich gedacht, der Kleiderhaken wäre herausgebrochen, aber er steckte noch fest in der alten Tür. Was ich für splitterndes Holz gehalten hatte, waren seine Knochen gewesen: Er hockte auf dem Boden, hielt sich den rechten Arm mit dem linken und wimmerte vor Schmerzen. Ich wusste nicht mehr genau, was die Speiche und was die Elle war, aber eine von beiden ragte jetzt rot und wund aus dem mit Einstichen übersäten Unterarm hervor.
»Du hast mir den Arm gebrochen! Scheiße, Mann, du hast mir den Arm gebrochen!«
Unter ihm bildete sich eine Urinlache, die sich farblos auf den schwarzweißen Fliesen ausbreitete. Über seine eingefallenen Junkiewangen liefen Tränen, Blut klebte in dem winzigen, dunklen Oberlippenbart, das Kinn war nass von Speichel. Hatte ich ihn schon mal gesehen, oder kannte ich einfach nur diesen Typ, einen von Zehntausenden Dubliner Junkies und Kleinkriminellen?
»Scheiße, du hättest mir nicht den Arm brechen müssen! Ich hätt dir doch nix getan.«
»Du hast mir aber was getan.«
Ich fuhr mir über den Hals und zeigte ihm den blutigen Handrücken.
»Nur ’n Kratzer, Mann. Beim Rasieren schneidest du dich schlimmer.«
Er hatte Recht. Vermutlich hatte er nicht vorgehabt, mich zu erstechen. Oder es wäre die Notwehr eines Junkies gewesen. Er hätte nichts dafür gekonnt. Solange er fixte, konnte er für gar nichts etwas.
»Du hast mich halt erschreckt. Ich wollte nur wissen, wie du heißt.«
»Ich heiße Edward Loy«, sagte ich.
In seinen verheulten, blutunterlaufenen Augen blitzte so etwas wie Wiedererkennen auf.
»Ich kenn dich. Du bist der neunmalkluge Wichser, der sich mit Podge angelegt hat. Am Ende hast du am Boden gelegen und dir die Seele aus dem Leib gekotzt. Hast ganz schön blöd ausgesehen.«
Jetzt erkannte ich ihn auch – allerdings nicht aus dem Hennessy’s, obwohl er dort offensichtlich auch gewesen war. Ich hatte ihn mit seiner Familie gesehen, an der Seafront Plaza, wo er in sein Handy gebrüllt hatte.
»Auch nicht blöder als du jetzt. Was hast du hier verloren? Bist du einer von Podge Halligans kleinen Freunden?«
»Ich muss ins Krankenhaus«, sagte er. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und er zitterte.
»Entspann dich. Das ist nur der Schock«, sagte ich.
»Scheiß auf den Schock, du hast mir den Arm gebrochen!«
»Du verlierst kein Blut. Das wird alles wieder.«
Ich ging zur Tür, schloss von innen ab und zupfte ein Stück blauweißes Absperrband vom Türrahmen. Dann hockte ich mich neben ihn, griff nach seinem Schlüsselbund und nahm die Schlüssel an mich, die zur Wohnung gehörten. In seiner Brieftasche fand ich einen Führerschein und einen Ausweis vom Sozialamt. Beides wies ihn als Dessie Delaney aus, wohnhaft in James Connolly Gardens. Außerdem waren etwa achtzig Euro in der Brieftasche, die Postkarte einer griechischen Insel, von der ich noch nie gehört hatte, und ein Foto von seinen Kindern bei einer McDonald’s-Geburtstagsparty.
Die Häuser an der Victoria Terrace waren in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts im typisch weitläufigen georgianischen Stil erbaut worden. Die geräumige Diele ging in eine große Kochnische über: Alle Küchenschränke, der Ofen, sogar der Kühlschrank standen offen,
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