Edelmann und Satansfreund
Erst im vergangenen Jahr war es renoviert worden. Sie hatte Platz genug, ein großes Fenster erlaubte den tollen Ausblick, und auch das Bad war groß genug für sie.
Es war alles vorhanden, um sich wohl zu fühlen, und das war bei Hildegard von Zavelsreuth auch der Fall.
Bis auf eine Kleinigkeit.
Immer dann, wenn sich die Dunkelheit über Zavelstein senkte, spürte sie den Druck im Magen. Da hatte sie dann das Gefühl, aus der Nacht heraus beobachtet zu werden, und natürlich kam ihr wieder der geheimnisvolle Ritter in den Sinn.
Sie dachte an ihn, aber er war noch nicht erschienen, obwohl schon eine Woche vergangen war.
Die Abende in der Gaststube wurden meist lang. Sie saß mit den Einheimischen zusammen, trank guten Wein aus Württemberg oder mal aus Baden, was die Einheimischen nicht so gern sahen, denn es gab noch immer die Konkurrenz, aber daran störte sich Hilde nicht. Für sie war wichtig, daß der Wein schmeckte, und er mundete ihr wunderbar, so daß sie die kalifornischen Gewächse schnell vergaß.
An diesem Freitag war es besonders lang geworden. Erst kurz vor Mitternacht stieg Hildegard die Treppe in die erste Etage hoch, wo ihr Zimmer lag.
Etwas schwankend lief sie durch den Gang und lächelte vor sich hin.
Dies hier war eine Welt, die ihr sehr gut gefiel. Sie mochte die Umgebung, sie mochte auch die Menschen mit all ihren Vorteilen und Fehlern. Und sie dachte plötzlich daran, während sie die Tür aufschloß, daß es jetzt gut ein Jahr zurücklag, als sie in London John Sinclair kennengelernt hatte. Hilde betrat ihr Zimmer. Mit dem Rücken lehnte sie sich gegen die Tür. Lächelnd blickte sie zum Fenster hinüber. Das Licht hatte sie noch nicht eingeschaltet, denn keine Äußerlichkeit sollte sie von ihren Erinnerungen ablenken. Was er wohl machte?
Sie wußte es nicht. Zweimal hatte sie ihm eine Karte geschrieben. Zu wenig für einen Mann, der sie aus den Klauen dieser beiden Vergewaltiger befreit hatte.
Der Gedanke daran löste bei ihr auch jetzt noch eine Gänsehaut aus.
Die Szene sah sie wieder vor sich. Sie meinte sogar, den widerlichen Gestank der beiden Typen wahrzunehmen, so nahe war plötzlich alles bei ihr.
»Unsinn, es ist vorbei!« Sie schüttelte den Kopf. Im Dunkeln durchquerte sie das Zimmer, blieb vor dem Fenster stehen und starrte in die bläuliche Dunkelheit hinein.
Nach dem langen, strengen deutschen Winter hatte der Frühling auch in Zavelstein Einzug gehalten. Die Natur war unter den Strahlen der Sonne förmlich explodiert. Die Blüten leuchteten und strahlten mit dem frischen Grün um die Wette. In dieser Zeit war es für die Menschen nahezu eine Lust zu leben.
Es war auch nicht so kalt. Der Wind war kaum zu spüren, und deshalb öffnete Hilde das Fenster, einen Blick hinaus in die Dunkelheit zu werfen, bis hin zur Ruine Zavelstein.
Sterne funkelten am Himmel, als hätte der liebe Gott Diamanten verstreut. Ihr Blick glitt in die Höhe, senkte sich wieder von der hellen Pracht weg und blieb dort hängen, wo die Burgruine stand.
Sie war nicht zu sehen, aber Hilde wußte genau, wo sie lag, und so glaubte sie auch, die Umrisse aus der Finsternis hervorwachsen zu sehen. Die kühle Luft glitt durch die Poren ihrer roten Strickjacke und hinterließ auf der Haut einen leichten Schauer.
Es lag nicht an der Nacht, die sehr still war. Nicht ein Zecher lief durch die Straßen, man konnte die Ruhe schon als unnatürlich ansehen, zumindest in einer hektischen Zeit wie dieser.
Sie dachte wieder an den Ritter!
Und diesmal sehr intensiv. So stark, daß der Schauer zunahm und ihr der Schweiß auf die Stirn trat. Aber den Blick konnte sie nicht wegnehmen. Der Ort, wo die Burg lag, übte eine nahezu unheimliche Faszination auf sie aus. Sie hatte plötzlich den Eindruck, dazuzugehören, obwohl das natürlich Unsinn war, denn die großen Zeiten des Mittelalters lagen längst zurück.
Aber sie waren nicht vergessen. In der Historie der Burg war alles chronologisch aufgeführt worden, das wußte sie, aber so persönlich wie sie war wohl niemand von diesen Dingen betroffen.
Schließlich gab sie sich selbst einen Ruck und trat wieder vom Fenster zurück. Der Bann war verflogen. Sie fand sich in der Wirklichkeit wieder, besonders auch deshalb, weil sie jetzt das Licht einer Stehlampe einschaltete und sich der weiche Schein über das Zimmer legte.
Hildegard von Zavelsreuth bewohnte ein Doppelzimmer, aber nur ein Bett war aufgeschlagen. Auf der anderen Hälfte hatte sie einige ihrer
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