Edelmann und Satansfreund
hast ihn in deiner unmittelbaren Nähe gesehen. Er hätte dich sogar töten können, aber er hat es nicht getan.«
»Ja, das stimmt«, flüsterte sie und blickte mich aus großen Augen an.
»Er hätte mich tatsächlich töten können.«
»Eben.«
»Und warum hat er das nicht getan?«
»Keine Ahnung, wirklich nicht. Da kann ich nur raten. Du bist ja seine in der weiten Zukunft lebende Verwandte auf irgendeine Art und Weise. Möglicherweise hat er noch etwas Besonderes mit dir vor. Man muß alles in Betracht ziehen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Ich hoffe, daß ich unrecht habe.«
Hilde senkte den Kopf. Ich hatte sie mit meinen letzten Worten nachdenklich gemacht. Sie dachte über das Gehörte nach und schüttelte einige Male den Kopf. »Wo sind wir da nur hineingeraten, John?« Sie umschlang mich und wollte, daß ich sie festhielt. »Bitte, wenn er tatsächlich bei uns hier erscheint, dann…«
»Noch ist er nicht da, und vielleicht wird er auch nicht erscheinen, und wir haben uns geirrt.«
Sie streichelte mich. »Hoffentlich hast du recht, John.« Dann verschwand Hilde im Bad.
Sie hatte mich sehr nachdenklich zurückgelassen. Es ging mir nicht besonders gut, denn ich spürte, daß sich in unserer Umgebung etwas zusammenbraute. Eine Gefahr, eine Bedrohung, die noch so weit entfernt lag, daß sie keine Gestalt angenommen hatte.
Was wollte uns Charlie erzählen?
Ich wußte es nicht, aber es konnte durchaus mit dem unheimlichen Ritter zusammenhängen. Vielleicht hatte Charlie ihn sogar mit eigenen Augen gesehen.
Hinter mir wurde die Tür des Bads geöffnet. Hilde kehrte wieder zurück.
Sie trug nur einen knappen Slip, aber ich hatte für ihren Körper diesmal keinen Blick. Zu schwer waren die Gedanken, die mich beschäftigten.
Die Regisseurin wühlte im Schrank herum, holte eine blaue Jeans hervor und einen dünnen, hellen Pullover. Über ihn streifte sie eine hellblaue Lederweste. Dann schlüpfte sie in ihre flachen, ebenfalls hellen Mokassins und nickte mir zu.
»Wir können gehen, John.«
»Okay.«
Vor der Tür atmete sie durch. »Allmählich glaube ich, daß er stärker ist als wir.«
»Wie kommst du darauf?«
»Feeling, John.« Sie lächelte zuckend. »Das sollen Künstler ja angeblich besitzen…«
***
Charlie Korn saß an einem Tisch nahe des Eingangs, hatte ein halbleeres Glas vor sich stehen, schaute auf den Deckel, auf dem sich schon zwei Striche befanden, und brütete vor sich hin. Er schrak zusammen, als wir an den Tisch herantraten und uns auf die freien Stühle setzten. Für eine Weile irrte sein Blick zwischen Hildegard und mir hin und her, dann stöhnte er auf und flüsterte: »Gut, daß ihr da seid.«
Ein junger Kellner fragte nach unseren Wünschen. Ein Pils konnte nicht schaden, und so bestellte ich es. Hilde nahm Wasser. Charlie entschied sich für einen Korn und machte so seinem Namen alle Ehre. »Den muß ich jetzt einfach haben«, sagte er.
»War es denn so schlimm?« fragte Hilde. Sie hatte sich vorgebeugt und blickte ihn skeptisch an.
»Ja, es war schlimm.«
»Was ist denn passiert?«
»Mit mir nicht viel, denn ich bin eingeschlafen.« Er senkte seine Stimme.
»Aber als ich erwachte, da habe ich etwas gesehen. Wenn ich euch das erzähle, haltet ihr mich für verrückt.«
»Aber es ist keine Lüge?«
»Nein, John, nein, ich habe es alles so erlebt. Beim Grab meiner Eltern, es ist wahr.«
»Dann mal los.«
Zuerst wurden unsere Getränke gebracht. Charlie kippte den Korn, schüttelte sich kurz, sammelte noch einmal seine Gedanken, bevor wir eine Geschichte hörten die zwar unglaublich klang, aber bestimmt nicht unglaublich war, denn auch wir hatten den Ritter erlebt.
»Ich habe euch das nur erzählt, weil ihr doch nach diesem Edelmann und Satansfreund gefragt habt.«
»Wie nannten Sie ihn?« fragte Hilde.
»Edelmann und Satansfreund.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Er war doch ein Ritter. Er sollte früher Gold herstellen, doch das schaffte er nicht. Aus alten Büchern weiß ich, daß diese Alchimisten immer mit dem Teufel im Bunde waren. Deshalb habe ich Rudolf von Zavelsreuth auch Satansfreund genannt.«
»Das ist zu verstehen«, sagte Hilde.
»Auch das andere, was ich erlebte?«
»Sie meinen den Ritter?«
»Ja, der tatsächlich die Burg verlassen hat.«
Charlie Korn starrte für einen Moment in sein Glas, bevor er nickte. »Ja, ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn mir nicht eingebildet. Er ist plötzlich aus dem Torbogen getreten, und ich will ehrlich
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