Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Anerkennung, Beständigkeit, Zuneigung,
Gesellschaft – gönnte er ihr in zu knapp bemessenen Dosen. Drei Monaten später war
die Liebe Geschichte gewesen.
Sie ließ
Elisa vor dem Kurhaus allein ins Taxi steigen und ging hinüber zur Terrasse des
›Käfer’s‹. Wie ausgehungert kam sie sich vor; ein seltenes Gefühl, das sich nicht
mit Wodka wegspülen ließ. Mit einem Mal scheute sie sich davor, sich zwischen all
den gut gelaunten Gästen einen freien Tisch zu suchen. Sie hatte kein Problem damit,
allein zu essen. Sofern sie nicht das Gefühl hatte, auf dem Präsentierteller zu
sitzen. Eine Treppe führte hinauf ins Restaurant. Warum nur hatte man die Stufen
so schief gebaut? Auf halber Strecke begann die Treppe zu schwanken und neigte sich
wie ein Schiff bei Seegang. Im Fallen griff sie nach der Reling. Der starke Arm
des Kapitäns fing sie auf.
»Alles in
Ordnung?«, fragte ein Kellner.
Die eignen
Worte klangen wie von Zuckerwatte umhüllt: »Nur der Blutzucker. Ich muss dringend
etwas essen.«
Umsichtig
führte der junge Mann sie in eine Nische. Als ihr Blick klarer wurde, bemerkte sie
drei Tische weiter die Privatdetektivin Norma Tann sowie die beiden Mädchen, die
Veit mit Blicken verschlungen hatten. Der Verleger saß bei ihnen. Hoffentlich hatte
er so viel Anstand, sie nicht hier und jetzt nach dem vermaledeiten Weinfass zu
fragen. Henriette hatte versprochen, den Mann zu vertrösten. Ob das bereits geschehen
war, wusste sie nicht.
Der Kellner
brachte die Karte. Angela überflog das Menü.
Zu ihrem
Ärger stand plötzlich Veit am Tisch. Und nicht nur das: Er setzte sich.
»Ich darf
doch!« Eine Feststellung. Keine Frage.
»Keinesfalls!
Was dich offenbar nicht kümmert.«
Der Kellner
warf ihr im Vorübergehen einen besorgten Blick zu.
Sie senkte
die Stimme. »Was soll das, Veit? Fast 20 Jahren ist das her. Was willst du?«
»Einen neuen
Anfang vielleicht?«
»Du bist
verrückt!«
Der Kellner
trug eine zweite Karte heran. »Möchte der Herr ebenfalls essen?«
Veit griff
zu. »Sehr gern!«
»Der Herr
vielleicht«, sagte Angela. »Die Dame geht.«
Ein anderes
Restaurant war ihr in den Sinn gekommen. Vertraut und mit Sicht auf den Hafen. Mit
bodenständigen Gerichten, die bis in die Nacht serviert wurden, sowie einer ausgezeichneten
Weinkarte. Und zu guter Letzt lag das Gasthaus nur einen Katzensprung vom Adebar
entfernt. Der Kellner trat irritiert den Rückzug an. Als sie in der Handtasche nach
ihrem Telefon wühlte, stießen die Finger gegen den Flachmann. Die Hand schmiegte
sich kurz darum, und es kostete sie alle Willenskraft, das Fläschchen nicht auf
der Stelle herauszuziehen. Im Stehen bestellte sie ein Taxi nach Schierstein. Es
käme ein Wagen vom Taxistand am ›Nassauer Hof‹ gegenüber, lautete die Auskunft,
er sei in zwei Minuten da.
Veit hatte
jedes Wort verfolgt. »Schierstein, ich weiß! Hübsch, dieses Weingut. Ich habe den
Makler gebeten, einen Termin auszumachen.«
Sie steckte
das Handy ein. »Du willst dich als Käufer ausgeben?«
Er grinste
genüsslich. »Was heißt ausgegeben? Ich bin ehrlich interessiert. Wir können Nachbarn
werden, Angela.«
»Das würde
dir so passen!«
Er wollte
sie aufhalten. Sie stieß ihn weg und stürzte aus dem Lokal. Die Treppe bewältigte
sie mit dem Schutzengel aller Betrunkenen. Vor der Terrasse hielt das Taxi. Das
Letzte, was sie von Veit erspähte, war der Schattenriss seiner Gestalt auf der Kurhaustreppe.
10
Donnerstag, der 14. Juli
Nach tiefem Schlaf brauchte Norma
eine Weile zum Wachwerden. Mit kleinen Augen suchte sie vergeblich nach dem Kater,
der längst durchs Dachfenster zu seinen heimlichen Abenteuern aufgebrochen war,
und fiel ins Bett zurück. Lutz war besonnener vorgegangen und nach dem Essen nach
Hause gefahren, während sie wie versprochen mit den Mädchen in die Spielbank zurückgekehrt
war. Genaugenommen dürfte sie morgens faulenzen, so lange sie wollte; frei, wie
sie war. Nur hatte sie mit dem ersten Tag als Privatdetektivin beschlossen, sich
nicht dem Schlendrian hinzugeben und ihrem Beruf mit aller Disziplin nachzugehen.
Selbst wenn der Radiowecker nach kurzer Nacht um 7 Uhr ansprang. Blieb die Frage,
ob sie den Tag mit Yoga oder Laufen angehen wollte. Sie entschied sich für die zweite
Variante. Der Himmelausschnitt über ihr leuchtete sommerblau. Außerdem musste sie
fürs Joggen keine Konzentration aufbringen.
Der Morgen
erwies sich als zauberhaft und belebend. Durch den Schlosspark begleitete sie
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