Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Taunusstraße staute. Endlich erreichte sie das Nerotal und parkte den
Wagen vor der Garage der Villa Tann, die oberhalb der Straße in den Hang gebaut
und nur über eine lange Treppe zu erreichen war. Die Steinstufen wackelten unter
ihren Schritten. Die Hausfassade hätte frische Farbe vertragen und tat es darin
den Fensterläden gleich. In der Tat: Lutz steckte in der Klemme. Er musste sich
entscheiden, ob er die Villa verkaufen oder deren Renovierung angehen sollte. Auf
den oberen Stufen kam er ihr entgegen. Er nahm ihre Entschuldigung mit kühlem Nicken
entgegen und bestrafte die Verspätung mit Schweigen.
Kurz darauf
erreichten sie die Tiefgarage unter dem Bowling Green.
Norma nickte
Lutz aufmunternd zu. »Noch fünf Minuten! Wir sind rechtzeitig da!«
»Hoffentlich«,
brummte er. »Ich möchte unsere Tischnachbarn nicht warten lassen.«
21
Nach der Devise ›Nicht kleckern,
sondern klotzen!‹ hatte sich Halvard der Jüngere im Muschelsaal des Kurhauses eingemietet.
Mit verspielten Wandmalereien, marmorierten Säulen und kalkweißen Statuen im Stil
der griechischen Antike zeigte sich der Saal in verschwenderischer Pracht. Die raumhohen
Fenster wiesen zum Kurpark hinaus. Die Gäste hatten längst an den runden Tischen
Platz genommen, auf denen Gläser und Brotkörbe festlich arrangiert waren, als Lutz
zielstrebig, aber mit vornehmer Muße, den Mittelgang durchschritt. Norma folgte
ihm zu einem der vorderen Tische, an dem zwei der zehn Stühle frei geblieben waren.
Sie nickte in die Runde und überspielte ihre Verblüffung mit einem Lächeln. Irgendwo
hatte sie die alle schon gesehen: im Wiesbadener Kurier, im Tagblatt oder im Fernsehen
in der ›Hessenschau‹. Typisch Lutz: Wenn schon zwei Plätze nachgeordert, dann inmitten
der Wiesbadener Politprominenz! Er kannte die Herrschaften – und diese kannten ihn,
den kunstsinnigen Verleger und Kulturförderer. Händeschütteln reihum, geflüsterte
Begrüßungen: Der Herr Bürgermeister nebst Gattin, umgeben von Mitgliedern des Stadtrats,
und ein gewichtiger Herr mit weißem Haarschopf. Ihm dankte Lutz für die Karten.
»Norma,
darf ich dir Herrn Onno Halvard vorstellen! Herr Halvard, meine Schwiegertochter
Norma Tann.«
Ein kräftiger
Händedruck. Onno Halvard besaß Pranken wie ein Bauarbeiter und einen intensiven
Blick. Ihr Platz war neben dem seinen.
»Pst!«,
warnte er. »Es geht los. Mein Sohn Harry.«
Ein rothaariger,
drahtiger Mann stürmte dynamischen Schrittes die winzige Bühne, die unmittelbar
vor dem VIP-Tisch aufgebaut worden war, und setzte zu einer längeren Begrüßungsrede
an. Lutz griff in die Jacketttasche und schob Norma einen Zettel zu, den er zu Hause
vorbereitet haben musste: ›Zufrieden in der Höhle des Löwen?‹
»Alter Fuchs«,
zischelte sie und drückte seine Hand.
Onno Halvard
beobachtete den Junior mit stolzem Vaterblick. In den Pressemeldungen der ZfWi war
nachzulesen, Onno habe seine Frau sehr früh verloren und den Sohn allein aufgezogen.
Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde als ausgesprochen harmonisch hervorgehoben.
Man ging offen damit um, dass der verwitwete Politiker in zahlreiche Affären verwickelt
gewesen sei, was Norma nicht anzweifeln würde. Ganz Kavalier der alten Schule, bemühte
er sich um sie. Mehrmals musste sie ihn bremsen, wenn er ihr Glas nachfüllen wollte,
als die ersten Flaschen auf dem Tisch standen: Hochklassige Weißweine aus dem Rheingau,
für deren Beschreibung Ulf-Harald Halvard nicht mit blumigen Ausführungen sparte
und seine Leidenschaft aufs Publikum übertrug. Vor allem Rieslingweine, jene Rebsorte,
auf die die meisten Rheingauer Winzer setzten, aber auch Sauvignon blanc, Scheurebe
und Grauburgunder durften probiert werden.
Norma hielt
im Publikum nach Ulf-Haralds Gattin Ausschau, konnte aber keine Frau entdecken,
die jener Katina Grothemund glich, die mit dem ›Weinhaus Grothemund‹ im Wiesbadener
Dichterviertel eine Edelweinboutique betrieb. Eine hübsche Brünette, die dem Betrachter
von der Website des Weingeschäfts entgegenlächelte. Dort wurden – wen wundert’s?
– vor allem die Empfehlungen des Weinpapstes verkauft. Pikant daran war die Tatsache,
dass der Weinpapst in seinen Artikeln für allerlei Weinmagazine das ›Weinhaus Grothemund‹
regelmäßig lobend hervorhob. Ohne sich damit aufzuhalten, dass es sich bei der Geschäftsführerin
um seine Angetraute handelte.
Auf der
Bühne erwies er sich als schlagfertiger Redner, der sein Publikum zu
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