Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
sich um Ewald Medzigs sterbliche
Überreste handelte, erschien auch den beiden Hauptkommissaren der Vergleich mit
Olivers Erbgut als viel versprechende Methode. Allerdings räumten sie dem richterlichen
Beschluss dafür ebenso wenig Erfolg ein wie Norma. Milano redete sich in Laune und
gab eine Reihe von Tricks zum Besten, wie sie an menschliche Zellen für den DNA-Vergleich
gelangen könnte, die allesamt so wunderbar heimlich, verrückt und illegal waren,
dass Wolfert nach und nach verstummte.
Nach der
Mittagspause traf Norma sich mit Felix im Technikraum und beschäftigte sich für
zwei Stunden mit den Überwachungsfilmen der Erbenheimer Postagentur. Wiederum war
niemand zu entdecken, der ihr bekannt vorkam. Männer, Frauen, Jugendliche: Keiner
auffällig oder erinnerte auch nur entfernt an Oliver Medzig, selbst wenn dieser
sich verkleidet hätte. Wobei sich sowieso die Frage stellte, warum er ihr, falls
er der Mörder seines Vater war, die Knochen schicken sollte. Aus Gewissensnöten?
Um endlich gefasst zu werden? Reichlich umständlich, aber bekanntlich gab es nichts,
was es nicht gab.
Sie knipste
die Geräte aus und warf einen Blick auf das Handy, das sie lautlos geschaltet hatte,
um nicht gestört zu werden. Ein anonymer Anruf war eingegangen, und außerdem hatte
Frywaldt fünfmal angerufen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Bei ihrem Rückruf
erreichte auch sie nur die Mailbox.
Sie fuhr
zurück nach Biebrich. Vor dem Büro wurde sie in Empfang genommen.
Adam Dyzek
kratzte sich am Kinn und rieb sich verlegen die Hände. »Verzeihen Sie den Überfall.
Ich konnte Sie telefonisch nicht erreichen. Dürfte ich Sie kurz sprechen?«
Norma ließ
ihn hinein. »Kaffee oder Mineralwasser?«
In Anbetracht
der Hitze bevorzugte er ein Wasser. Sie nahm zwei Gläser mit zum Besuchertisch.
Dyzek wartete, bis sie sich gesetzt hatte, bevor er selbst Platz nahm. Ein Mann
mit Manieren, die er im Weinberg für einen Moment außer Acht gelassen hatte. Zugleich
nahm man ihm die Arbeitskleidung ab, die ein Teil seiner selbst zu sein schien wie
die schwieligen Hände und das von grauen Strähnen durchzogene Haar, das ihm, unabsichtlich
oder inszeniert, ungestüm in die Stirn rutschte.
Im Büro
stand die Luft. Norma öffnete ein Fenster. Sie fühlte sich verschwitzt und sehnte
sich nach einer Dusche.
»Was kann
ich für Sie tun?«
Er bedachte
sie mit einem unverhofft offenen Lächeln. »Meine Entschuldigung annehmen, bitte!
Mein Benehmen heute morgen, das war nicht in Ordnung. Genauso grantig habe ich mich
auf der Trauerfeier aufgeführt.«
Norma zeigte
sich zuvorkommend. »Manchmal muss ich die Leute aus der Reserve locken. Das klingt
nicht immer nett. Ich kann verstehen, wenn man das nicht hinnehmen will. Ich muss
mich genauso entschuldigen.«
Er schaute
zwei Passanten nach. Hand in Hand schlenderte ein blutjunges Pärchen am Fenster
vorbei. »Eine Sache habe ich inzwischen kapiert: Belastende Dinge soll man schnellstmöglich
aus der Welt schaffen. Darin war mir, neben so vielem anderen, meine Frau ein Vorbild.
Früher, mit Angela, habe ich alles in mich hineingefressen. Angela war genauso.
Es konnte nicht gut gehen mit uns. Wir waren wie zwei Planeten mit eigenen Umlaufbahnen,
die keine Berührungspunkte miteinander hatten.«
»Auf die
Gefahr hin, erneut zu provozieren: Das ist Ihre Sicht der Dinge. Was macht Sie so
sicher, dass Angela sich nicht als Ihre Sonne betrachtet hatte? Nach allem, was
ich gehört habe, galten Sie als Ihre große Liebe.«
Dyzek winkte
ab. »Nach mir hatte sie andere Männer. Diesen Schauspieler zum Beispiel, wie heißt
er noch? Und vor mir Harry Halvard, nicht zu vergessen, ihr angebeteter Jugendschwarm.
Als junges Mädchen war sie von Harry regelrecht besessen und hat nichts unterlassen,
um seine Beachtung zu finden. Kaum war die Liebe verraucht, hat sie ihn mit gleicher
Vehemenz bekämpft. Angela neigte zu Extremen. Das kann ich Ihnen versichern.«
»Sie sind
allein nach Deutschland zurückgekommen. Ich habe gehört, Ihre Frau und Ihr Kind
sind … nicht mehr am Leben. Das tut mir sehr leid.«
Dyzek blickte
erneut zum Fenster. Die Straße dahinter lag verlassen. »Wir hatten eine Tochter.
Marie. Es geschah an einem Samstagabend. Die Nachbarn hatten uns zum Barbecue eingeladen.
Ich konnte nicht mit. Es gab Probleme im Weinberg. Von Weitem sah ich den Feuerschein,
als ich abends heimfuhr. Das Haus brannte lichterloh. Ich raste mit dem Landrover
auf die Flammen zu und konnte nichts anderes
Weitere Kostenlose Bücher