Edgar Wallace - Der grüne Bogenschütze
lange vor der Flucht der Frau geplant hatte. Er mußte schon daran gedacht haben, als ihm klar wurde, daß Valerie Howett das Kind war, das er vor dreiundzwanzig Jahren gestohlen hatte.
»Sie ist bestimmt tot« sagte Coldharbour Smith überzeugt. »Man kann eine Frau nicht acht Jahre lang in einem unterirdischen Gefängnis einsperren, ohne daß sie stirbt. Selbst in Dartmoor, wo man doch frische Luft und Bewegung hat –«
»Dann war sie die ganze Zeit dort?« fragte Valerie aufgeregt.
»Na, selbstverständlich war sie die ganze Zeit dort!« sagte Smith verächtlich. »Ich weiß zwar nicht, in welchem Teil des Schlosses sie saß, aber sie war dort.«
Diese Unterhaltung war beim Mittagessen geführt worden. Sie hatte nichts von den Speisen anrühren können. Am Nachmittag bemerkte sie, daß Leben an Bord des Schiffes kam. Sie hörte dauernd Kommandorufe und Schritte über sich. Man hatte eine Pumpe in Bewegung gesetzt, und ihr dauerndes Geräusch lenkte Valeries Aufmerksamkeit ab.
Sie hatte noch keinen der Offiziere oder der Mannschaften gesehen mit Ausnahme des schwarzen Stewards, der die Mahlzeiten servierte. Aber sie vermutete, daß es nur wenige sein konnten und dachte darüber nach, wo die Kabine des Kapitäns liegen könnte. Was mochte mit Julius geschehen sein? Es war ihr unmöglich, ihre Gedanken auf Jim, ihren Vater oder ihre eigene Lage zu konzentrieren.
Zum Abendessen kam Smith wieder in ihre Kabine, und sie bemerkte auf den ersten Blick, daß er getrunken hatte. Auf seinem ungesund weißen Gesicht zeigten sich zwei rote, scharf abgegrenzte Flecke. Er sah aus wie eine häßliche Puppe, der man die Backen schlecht angemalt hatte.
»Mein liebes, hübsches, kleines Mädchen, geht’s dir gut?« fragte er mit lauter Stimme. »Ich habe dir etwas Wein gebracht – verdammt noch mal, das ist ja Rum!«
Er kreischte laut vor Vergnügen über seinen eigenen Witz.
»Die Abstinenzler drüben sind eine verrückte Bande, aber wir haben eine Menge Geld an ihnen verdient.«
Er stellte geräuschvoll eine dunkle Flasche auf den Tisch, als er sich niedersetzte.
»Der olle Julius, was? Kommt hier ans Deck gekrochen, um mich der Polizei zu verraten! Hat seine kleine Frau im Stich gelassen, um auf dem Meer zu leben. Können Sie das verstehen? Aber seine Frau ist ja auch gar nicht so hübsch wie meine!«
Er schaute sie an und versuchte ihre Hand zu nehmen. Als ihm das nicht gelang, zog er mit seinen Zähnen den Korken aus der Flasche und goß sich ein Glas ein.
»Trinken!« befahl er.
Sie stellte das Glas zur Seite.
»Trinken!«
»Ich will nicht trinken!« sagte sie und stieß das Glas fort, so daß es auf den Boden fiel.
Das machte ihm scheinbar den größten Spaß.
»Das habe ich gern – Temperament!« Er lachte. Und ohne weitere Worte machte er sich an die großen Schüsseln, die der Steward auf den Tisch gesetzt hatte.
Plötzlich wischte er sich den Mund ab und goß noch ein anderes Glas Kognak hinunter. Dann erhob er sich unsicher.
»Mein kleiner Liebling« begann er wieder und kam auf sie zu.
Sie drehte sich schnell auf dem Drehstuhl herum und wich ihm aus.
»Na, so komm doch zu mir« rief er. »Ich möchte –«
Aber mit dem Mut der Verzweiflung stieß sie ihn zurück, machte sich aus seinen Händen frei, lief in ihre Schlafkabine, zog die Türe zu und riegelte sie ab.
»Komm heraus!« brüllte er und schlug wild an die Türfüllung. Die Bretter bogen sich, aber sie brachen nicht durch. Coldharbour Smith wurde wütend. Er riß und zerrte mit seinen Händen an dem Holz, er stieß und schlug und führte drohende und schreckliche Reden.
»Ich werde dich schon herausholen« hörte sie ihn mit heiserer Stimme schreien. Sie zitterte an allen Gliedern. »Savini hat dir Grillen in den Kopf gesetzt – Savini…!«
Er verließ die Kabine und ging mit schweren Schritten quer über das Deck, das zwischen dem Salon und der Kammer für die Ankerketten lag. Vollkommen betrunken, aufgeregt und wahnsinnig vor Wut, wollte er Savini umbringen.
Er schob die Riegel zurück und riß die Tür auf.
»Savini, ich drehe Ihnen das Genick um – hören Sie?«
Es kam keine Antwort. Er tastete den dunklen Raum ab, wo er seinen Gefangenen gelassen hatte.
Aber Savini war verschwunden.
51
D as Entsetzen, das ihm diese Entdeckung einjagte, machte ihn plötzlich nüchtern. Er kam aus dem dunklen Raum heraus und rief einen Matrosen an.
»Wer hat die Tür aufgemacht?« fragte er.
»Ich habe ihm noch vor zwei Stunden Essen
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