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Edith Wharton

Edith Wharton

Titel: Edith Wharton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommer
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Mr.
Miles' Meinung zu hören, bevor sie etwas entschied.
    »Ich konnte aus Ihrer Cousine nicht
recht herausbekommen, was für Änderungen Sie planen«, erklärte Mr. Miles, »und
da es auch die anderen Kuratoren nicht begriffen, dachte ich, es wäre besser,
ich führe her und sähe mir das Ganze an – obwohl ich überzeugt bin«, fügte er
hinzu und richtete seine freundlichen Brillengläser auf den jungen Mann, »daß
niemand mehr von der Sache versteht als Sie – aber natürlich hat dieses Gebäude
seine ganz besondere Würde!«
    »Ein bißchen frische Luft wird es
hoffentlich nicht entwürdigen«, erwiderte Harney lachend; und sie gingen zum
anderen Ende der Bibliothek, während er dem Pfarrer seinen Plan
auseinandersetzte.
    Mr. Miles hatte die beiden Mädchen
freundlich wie stets begrüßt, aber Charity sah, daß er mit anderen Dingen beschäftigt
war, und schloß bald aus den Bruchstücken der Unterhaltung, die zu ihr
herüberdrangen, daß er noch ganz erfüllt war von seinem Besuch in Springfield,
der offenbar voller erfreulicher Ereignisse gewesen war.
    »Ah, die Coopersons ... ja,
natürlich kennen Sie sie«, hörte sie ihn sagen. »Ein prächtiges altes Haus. Und
Ned Cooperson hat ein paar wirklich bemerkenswerte impressionistische Bilder
zusammengetragen ...« Die Namen, die er anführte, waren Charity unbekannt.
»Ja, ja, das Schaefer-Quartett spielte am Samstagabend in der Liederhalle, und
am Montag hatte ich das Vergnügen, sie noch einmal bei den Towers zu hören.
Sehr schön gespielt ... Bach und Beethoven ... Zuerst gab es einen Empfang im
Freien ... Übrigens habe ich Miss Balch mehrfach gesehen
... Sie sah außerordentlich schön aus ...«
    Charity ließ ihren Bleistift fallen
und vergaß das Geleier der kleinen Targatt ganz und gar. Warum hatte Mr. Miles
plötzlich Annabel Balchs Namen ins Gespräch gebracht?
    »Ach ja?« hörte sie Harney
antworten; und er fuhr fort, indem er seinen Stock hob: »Sehen Sie, ich plane,
diese Regale zu entfernen und in die Wand hier ein rundes Fenster brechen zu
lassen, genau in der Achse des Fensters unter dem Giebel.«
    »Ich nehme doch an, daß sie später
herkommen und eine Weile bei Miss Hatchard bleiben wird?« Mr. Miles verfolgte
immer noch seinen vorigen Gedankengang, dann drehte er sich rasch um und legte
den Kopf in den Nacken: »Ja, ja, ich sehe ... ich verstehe: dadurch entsteht
ein Durchzug, ohne daß das Äußere wesentlich verändert wird. Ich wüßte nichts
dagegen einzuwenden.«
    Das Gespräch ging noch kurze Zeit
weiter, und allmählich kehrten die beiden Männer zu Charitys Schreibtisch
zurück. Mr. Miles blieb wieder stehen und betrachtete das junge Mädchen
nachdenklich. »Bist du nicht ein bißchen blaß, meine Liebe? Überarbeitest du
dich auch nicht? Mr. Harney hat mir erzählt, daß ihr beide, du und Mamie, in
der Bibliothek gründlich Ordnung macht.« Er war stets darauf bedacht, die
Vornamen seiner Pfarrkinder nicht zu vergessen, und im richtigen Augenblick
wandte er seine gütigen Brillengläser der kleinen Targatt zu.
    Dann drehte er sich zu Charity um.
»Nimm nicht alles so schwer, meine Liebe, nimm's nicht so schwer. Komm doch
mal Mrs. Miles und mich in Hepburn besuchen«, sagte er, drückte ihr die Hand
und winkte Mamie Targatt zum Abschied zu. Er verließ die Bibliothek, und
Harney folgte ihm.
    Charity glaubte, in Harneys Blick
eine gewisse Befangenheit entdeckt zu haben. Sie nahm an, daß er nicht mit ihr
allein sein wolle; und mit einem plötzlichen Stich im Herzen fragte sie sich,
ob er die zärtlichen Worte bereue, die er ihr am Abend zuvor gesagt hatte. Sie
waren eher brüderlich als verliebt gewesen; aber über der liebkosenden Wärme
seiner Stimme war ihr entgangen, was sie genau bedeuteten. Er hatte ihr das
Gefühl vermittelt, die Tatsache, daß sie ein elternloses Kind vom Berg war, sei
nur ein weiterer Grund, sie an sich zu drücken und mit tröstlichem Gemurmel
ihren Kummer zu lindern; und als die Fahrt zu Ende war und sie müde und
fröstelnd aus dem Wagen stieg und ihr alles weh tat vor innerer Erregung,
schritt sie aus, als sei der Boden eine sonnenbeschienene Woge und sie der
Schaum auf ihrem Kamm.
    Warum also hatte sich sein Verhalten
plötzlich geändert, und warum verließ er die Bibliothek mit Mr. Miles? Ihre
rastlose Phantasie heftete sich an den Namen Annabel Balch: sie bildete sich
ein, Harneys Gesichtsausdruck habe sich in dem Augenblick verändert, als der
Name fiel. Annabel Balch, die »außerordentlich

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