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Edith Wharton

Edith Wharton

Titel: Edith Wharton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommer
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und begriff
mit einem Gefühl der Verzweiflung, daß sie in ihrer Unfähigkeit, sich
mitzuteilen, ihm den Eindruck von Kälte und Abneigung geben mußte; aber sie
konnte es nicht ändern. Sie konnte nicht vergessen, daß er erst von Heirat zu
ihr gesprochen hatte, als Mr. Royall ihn dazu genötigt hatte; sie hatte zwar
nicht die Kraft gehabt, den Bann abzuschütteln, der sie an ihn fesselte, doch
sie hatte jegliches spontane Empfinden verloren, und es kam ihr vor, als
erwarte sie tatenlos ein Schicksal, das sie nicht abwenden konnte.
    Bei ihrer Rückkehr in das rote Haus
hatte sie Mr. Royall nicht gesehen. Als sie am Morgen nach ihrem Abschied von
Harney aus ihrem Zimmer nach unten kam, sagte Verena, ihr Vormund sei nach
Worcester und Portland gefahren. Es war die Zeit, in der er gewöhnlich den
Versicherungsgesellschaften, die er vertrat, Bericht erstattete, und es war,
von ihrer Plötzlichkeit abgesehen, nichts Ungewöhnliches an seiner Abreise.
    Charity dachte wenig an ihn, war nur
froh, daß er nicht da war.
    Die ersten Tage blieb sie für sich,
während sich North Dormer von seinem kurzen Ausflug ins öffentliche Leben erholte,
und in der abklingenden Aufregung nahm niemand Notiz von ihr. Doch der treuen
Ally konnte sie nicht lange aus dem Weg gehen. Die ersten paar Tage nach dem
Ende der Heimatwochenfestlichkeiten wich ihr Charity aus, indem sie den ganzen
Tag auf den Hügeln umherstreifte, wenn sie nicht an ihrem Platz in der
Bibliothek war; doch danach kam eine Regenperiode, und an einem Nachmittag, an
dem es in Strömen goß, kam Ally mit ihrem Nähzeug ins rote Haus, in der
Gewißheit, daß sie ihre Freundin antreffen werde.
    Die beiden Mädchen saßen oben in
Charitys Zimmer. Charity, die Hände müßig im Schoß, war in eine Art bleiernen
Traum versunken, in dem sie sich der Gegenwart Allys nur halb bewußt war, die
ihr gegenüber auf einem niedrigen Korbstuhl saß, die Arbeit auf den Knien und
die dünnen Lippen geschürzt, während sie sich darüber beugte.
    »Es war meine Idee, ein Band durch
die Rüsche zu ziehen«, sagte sie stolz und lehnte sich zurück, um die Bluse zu
betrachten, die sie aufputzte. »Sie ist für Miss Balch: es hat ihr ungeheuer
gefallen.« Sie schwieg und fuhr dann mit einem merkwürdigen Beben in ihrer
piepsigen Stimme fort: »Ich hab' mich nicht getraut, ihr zu sagen, daß die Idee
von einer Bluse stammt, die ich an Julia gesehen habe.«
    Charity hob teilnahmslos die Augen.
»Siehst du Julia noch ab und zu?«
    Ally wurde rot, als sei ihr diese
Andeutung aus Versehen entschlüpft. »Oh, ich hab' sie vor langer Zeit mit
solchen Rüschen gesehen ...«
    Wieder herrschte Schweigen, und
wenig später fuhr Ally fort: »Miss Balch hat mir diesmal eine ganze Menge
Sachen zum Umarbeiten dagelassen.«
    »Ach —ist sie fort?« fragte Charity,
während plötzlich eine Ahnung sie durchfuhr.
    »Hast du das nicht gewußt? Sie ist
am Morgen nach dem Fest in Hamblin abgereist. Ich hab' sie frühmorgens mit Mr.
Harney vorbeifahren sehen.«
    Es herrschte erneut Schweigen, das
vom regelmäßigen Klopfen des Regens an das Fenster und ab und zu durch das
Schnippeln von Allys Schere skandiert wurde. Ally lachte nachdenklich. »Weißt
du, was sie zu mir gesagt hat, bevor sie wegfuhr? Sie hat zu mir gesagt, sie
läßt mich nach Springfield holen, damit ich ihr ein paar Sachen für ihre
Hochzeit nähe.«
    Charity hob wieder die schweren
Lider und starrte in Allys blasses, spitzes Gesicht, das sich über ihren geschäftigen
Fingern hin und her bewegte.
    »Ach, sie
heiratet?«
    Ally ließ die Bluse auf die Knie
sinken und starrte auf sie hinunter. Ihre Lippen schienen plötzlich trocken,
und sie befeuchtete sie ein wenig mit der Zunge.
    »Na ja, ich nehme an ... nach dem,
was sie gesagt hat ... Hast du es nicht gewußt?«
    »Woher
hätte ich es wissen sollen?«
    Ally gab keine Antwort. Sie beugte
sich über die Bluse und begann, einen Heftfaden mit der Scherenspitze
herauszuziehen.
    »Woher hätte ich es wissen sollen?«
wiederholte Charity schroff.
    »Ich weiß nur ... man erzählt sich,
sie sei mit Mr. Harney verlobt.«
    Charity stand lachend auf und reckte
träge die Arme über dem Kopf.
    »Wenn alle Leute heiraten würden,
von denen man sich's erzählt, da müßtest du die ganze Zeit Hochzeitskleider
nähen«, sagte sie spöttisch.
    »Warum – glaubst du es nicht?«
fragte Ally zaghaft.
    »Wenn ich es glaubte, würde es
dadurch auch nicht wahr – und wenn ich es nicht glaubte, würde ich's auch

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