Edorei und die Tochter des Zauberers (German Edition)
nicht begreifen, die alles hier so anheimelnd wirken ließ. Wenn Zoe sonst Übernachtungsgäste hatte, sah die Wohnung immer überfüllt aus. Nicht so heute. Meist schlief Zoe auf der Matratze am Boden, da sie niemandem zumuten wollte, mit dem Kopf halb unter dem Tisch schlafen zu müssen. Doch selbst dies war heute nicht so. Als ob der Raum größer geworden wäre.
Eine Weile stand sie da und sah zu, wie Krazug und Brendas den Prinzen umschwärmten. War das Neid oder Missgunst, was sie spürte? Sie wollte auch umschwärmt werden. Aber seit dieser Lackaffe da war, spielte sie nur noch die zweite Geige.
Er ist kein Lackaffe, verbesserte sie sich. Es ist nur der Zauber, der ihn dazu werden lässt. Zoe versuchte in dem Gesicht des Prinzen etwas von seinem wahren Wesen zu erkennen, doch es fiel ihr schwer. Alles was ihn liebenswert gemacht hatte, war wie ausgelöscht.
Herdis kam eilig herbei.
„Hast du noch mehr Niespulver bekommen können?“, fragte er.
„Sieh selbst. Es sind Beeren“, antwortete sie und reichte ihm die Mühle.
„Gut!“ strahlte Herdis. „Es wird zwar länger dauern, bis es wirkt, aber dafür wird die Wirkung nachhaltiger sein.“ Er ließ die Körner hin und her kullern. „Ist das alles?“
„Herdis!“, rief Zoe. „Es ist alles, was ich kriegen konnte. Reicht es nicht?“ Sie merkte, wie die Erschöpfung nach ihr griff, und wünschte sich, nur noch in Ruhe gelassen zu werden.
Herdis fasste mit seinen wulstigen Fingern nach ihrer Hand.
„Du bist gütiger als die Feen und hilfsbereiter als die Heinzel im Heinzelwald. Die Weise Isbilde hätte keinen besseren Ort für uns finden können.“
Zoe lächelte. „Du bist ein Schmeichler, Herdis.“
„Wir Wichte sagen immer die Wahrheit“, versicherte Herdis und sah sie aus seinen großen Augen treuherzig an.
„Reichen die Beeren?“, fragte Zoe.
„Wenn man sie richtig zubereitet, werden sie bis morgen reichen.“
Möglicherweise sagten Wichte immer die Wahrheit, doch niemals die ganze Wahrheit. Zoe merkte, dass Herdis die Pfefferkörner in der halbvollen Mühle zweifelnd beäugte und überlegte, ob es sich lohnte, zu einer Tankstelle zu fahren. Hatten Tankstellen Pfeffer im Sortiment? Wohl eher nicht.
Da erzeugte Krazug vor dem Prinzen einen grauen Nebel. Edorei nießte drei Mal und Zoe beobachtete, wie sich der Schleier von seinem Gesicht hob. Während er sich umsah, als suche er etwas, versuchten die Wichte so viel wie möglich von dem kostbaren Staub aufzusammeln. Als Edoreis Blick auf Zoe fiel, erhellten sich seine Gesichtszüge ein weiteres Mal.
Es war schwer, sich nicht zu ihm hingezogen zu fühlen. War er doch so etwas Ähnliches, wie der berüchtigte Märchenprinz. Entschieden schob Zoe diesen Gedanken von sich. Das hier war nicht die Wirklichkeit. Es war ein Traum, der bald vorbei sein würde. Trotzdem ging sie auf Edorei zu und sagte: „Erzähl mir von dir.“
„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, behauptete er.
„Aber du bist ein Prinz. Alles hier geschieht nur deinetwegen.“
Er lächelte und zwei Reihen strahlend weißer Zähne wurden sichtbar. Makellos, so wie alles an ihm. Solche Männer gab es in der Realität nicht. Wahrscheinlich hatte er Haare auf dem Rücken und Pickel am Bauch. Und wenn nicht, würde er sich wahrscheinlich über kurz oder lang als Langweiler entpuppen. Das war meistens das Problem an den „Guten“. Das und natürlich diese versteckte Erwartungshaltung, dass Gleiches mit Gleichem zu vergelten war. Aber Zoe war kein nettes Mädchen. Sie war auch mal sauer oder schlecht gelaunt. Sie brauchte auch mal ihre Ruhe und konnte nicht pausenlos Süßholz raspeln und Händchen halten.
„Ja, es geschieht meinetwegen“, sagte Edorei und wirkte irgendwie bedrückt. „Ich war unvorsichtig“, gab er zu. „Man hatte mich gewarnt, aber ich wollte unbedingt die schönste Braut in unserer Welt sehen. Die Schönste, das ist Luriella zweifellos.“
Schwärmt der gerade von einer anderen Frau? Geht’s noch, rebellierte Zoe innerlich.
„Prinzen und Fürsten aller Völker reisten in die Nordberge, um dieses Wunder zu sehen und Luriellas Herz zu gewinnen. Aber Luriella hat kein Herz.“
Das hat man mir auch schon nachgesagt, dachte Zoe.
„Mein Vater warnte mich. Er ahnte, dass Derdoran etwas im Schilde führte, doch ich war unbelehrbar. Mein Vater ist auch mein König. Er ist mein Gebieter und verfügt über mich in so vielen Hinsichten, doch wem ich mein Herz schenke, das entscheide ich
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