Egeland, Tom
«
» Fast zweitausend Jahre. Wir nehmen an, dass Q entstanden ist, noch bevor Paulus seine ersten Briefe geschrieben un d d atiert hat, also schon etwa zwanzig Jahre nach der Kreuzigung. «
» Von wem? «
» Das wissen wir nicht. « Er beugt sich vor und senkt die Stimme: » Das Interessante an dieser zeitlichen Einordnung ist, dass das zwanzig Jahre vor der Niederschrift des Markusevange liums war! « Er zieht viel sagend die Augenbrauen hoch. Gespannt wartet er auf meine Reaktion. Sie kommt nicht. Ich verstehe nicht, warum er die Datierung so interessant findet. Seine Augenbrauen sinken enttäuscht wieder nach unten.
» Wie du weißt «, fährt er übertrieben deutlich, fast herablassend fort, » hält man das Markusevangelium für das älteste der Evangelien, also für das erste, obgleich es erst an zweiter Stelle im Neuen Testament steht. Es wurde mit einiger Sicherheit etwa vierzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu geschrieben, also etwa im Jahre 70. «
» Dann ist Q in gewisser Weise echter als die späteren Evangelien? «
» Echter? «
» Weil es nicht so lange danach geschrieben worden ist. «
» Nun … « Gert zieht das Wort in die Länge, schneidet eine Grimasse und entblößt seine länglichen Zähne und das rosa Zahnfleisch. » Die Echtheit alter Manuskripte einzustufen, seien sie nun biblisch oder nicht, ist zweitausend Jahre danach ziemlich aussichtslos. Das hat viel mit Glauben zu tun. Aber es ist natürlich einleuchtend, dass man ein höheres Risiko eingeht, unpräzise und ungenau zu werden, wenn viel Zeit zwischen der Niederschrift eines Dokuments und den beschriebenen Geschehnissen vergangen ist. «
» In gewisser Weise waren die alten Evangelisten so etwas wie Journalisten «, sage ich.
» Eher nicht. Leute des öffentlichen Lebens, Verkünder, Missionare … «
» Eben, Journalisten! «, wiederhole ich mit einem Lachen.
» Und die Evangelisten hatten Zugang zu Q? «
» Das ist nicht unwahrscheinlich. Wir glauben, dass Q in den frühchristlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts zirkulierte «, sagt Gert. Seine Lippen schürzen sich, als freue er sich über etwas, das er eigentlich nicht sagen sollte. » Das Kontroverse an diesem Manuskript ist, dass einige Forscher meinen, manche dieser christlichen Gemeinden hätten in Jesus keinen Gott gesehen, sondern einen klugen Philosophen. Einen, der die Menschen lehren wollte, wie sie leben sollten, um glückliche Juden zu sein. Wenn du die Evangelien und Paulus aus dem Neuen Testament streichst, bleibt ein Stück reformiertes Judentum übrig. «
» Sind viele dieser Ansicht? «
» Du musst bedenken, dass Q, sollte dieses Manuskript jemals gefunden werden, eine unglaubliche Autorität haben wird, weil es unmittelbar nach Jesu Leben geschrieben wurde. Von Augenzeugen. Nicht von Evangelisten, die lange danach gelebt haben. Q war sozusagen ein journalistisches Referat –in viel größerem Grad als die ausgeschmückten und geschönten Evangelien. In Q wird Jesus als der apokalyptische Aufrührer porträtiert, als der Mensch, der in der Gegenwart lebt. Ein Revolutionär seiner Zeit. Es geht nicht darauf ein, inwieweit er Gottes Sohn war oder nicht. «
» Und was beweist Q dann? «
» Q kann sicher nichts beweisen. Aber man muss die Manuskripte aus dieser Zeit mit einem grundlegenden Verständnis der damaligen Gegenwart lesen. Den herrschenden Gesellschaftsverhältnissen. «
» Ich dachte, Theologen würden blind auf das vertrauen, was in der Bibel steht? «
» Ha! Theologie ist eine Wissenschaft, kein Glaube! Schon im achtzehnten Jahrhundert haben Theologen die Dogme n k ritisch betrachtet. Professor Herman Samuel Reimarus reduzierte Jesus auf eine jüdisch-politische Figur. 1906 folgt Albert Schweitzer mit einer Aufsehen erregenden wissenschaftlichen Arbeit, die die damaligen theologischen Sichtweisen grundlegend infrage stellte. Diese Theologen haben einen Unterschied gemacht zwischen dem historischen Jesus und Jesus als Verkünder. Diese kritische Theologie hat sich bis heute weiterentwickelt. Durch die Kombination historischer, soziologischer, anthropologischer, politischer und theologischer Wissenschaft kann ein neues Jesusbild entstehen. «
» Was für ein Bild? «
» Jesus wurde in eine turbulente Zeit hineingeboren. Seine Lehre wurde gebraucht und missbraucht. Für viele der frühchristlichen Gemeinden waren sein Tod und die Auferstehung nicht wichtig. Sie betrachteten ihn als eine vereinende Führerfigur. Eine Art Lenin oder Che
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