Egeland, Tom
Wünsche erfüllte? «, sage ich mit einem Lachen. » Wein, Weiber und ein nagelneues Kamel? «
Gert zwinkerte nachsichtig. » Fast! Es war tatsächlich so, dass die Brüder eine Todesangst davor hatten, das Gefäß zu öffnen, weil sie sich vor einem Geist fürchteten. Einem bösen Geist. Ägyptische Tonkrüge scheinen dazu zu neigen. Was jeder einigermaßen aufstrebende Archäologe wissen sollte. «
Wir lachen. Gert hat ein sprudelndes, helles Lachen.
» Aber die Geldgier der Brüder gewann schließlich doch die Oberhand «, fährt er fort. » Schließlich war es ja möglich, dass das Gefäß doch keine Geister enthielt, dafür aber Gold und Diamanten. So wagten sie es also und schlugen den Krug kaputt. «
» Kein Geist? «, sage ich fragend.
» Nicht die Bohne! «
» Also, was haben sie gefunden? «
» Dreizehn Bücher. Dreizehn in Gazellenleder eingebundene Bände. «
Ich lege den Kopf auf die Seite.
Gert schlägt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
» Der Fund war Aufsehen erregend! Für Theologen wie Archäologen gleichermaßen. Die Nag-Hammadi-Bibliothek! Unter den Manuskripten befand sich unter anderem das komplette Thomasevangelium! «
Ich blinzle aus dem Raum, während ich versuche, das Thomasevangelium einzuordnen. Ich habe die Bibel nie wirklich gelesen. Aber ich dachte, wenigstens die Evangelien zu kennen.
» Das Thomasevangelium wurde nie in die Bibel aufgenommen «, erklärt Gert.
» Trotz allem ist es nicht allen vergönnt, von Gott abgewiesen zu werden «, sage ich. » War euch Fachleuten das Thomasevangelium bekannt? «
» Yes! Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Aber niemand hatte jemals die komplette Version gesehen. Nicht vor 1945. Ein auf Griechisch geschriebenes Fragment des Thomasevangeliums war zuvor schon in Oxyrynchos in Ägypten gefunden worden. Die Nag-Hammadi-Version war komplett. Und nicht nur das – unter den Schriften befanden sich auch das so genannte Philippevangelium und Abschriften von Gesprächen zwischen Jesus und seinen Jüngern. Beinahe ein eigenes ›Neues Testament‹, wenn auch sehr stark abweichend vom Original. Und pass jetzt auf, denn das ist wic htig und interessant! Es war auf Koptisch geschrieben! «
» Jetzt hör aber auf! Auf Koptisch? «, rufe ich. Der Ausruf war ein reiner Bluff. Gert durchschaut den Spaß sofort.
» Koptisch «, wiederholt er. » Also die ägyptische Sprache, die man sprach, als das römische Imperium dem Ende entgegenging. «
» Ich glaube, ich verstehe «, murmle ich, obgleich das unter Umständen eine Übertreibung ist.
Gert lächelt verständnisvoll. Es muss das gleiche Lächeln sein, das er seinen weiblichen Erstsemestern mit den lustigen Zöpfen und den eng sitzenden T-Shirts zuwirft. » Ausgehend von diesem Text konnten die Forscher das Thomasevangelium in seiner griechischen Originalfassung rekonstruieren. Im Gegensatz zu den Evangelien, die in die Bibel aufgenommen wurden, und in Übereinstimmung mit Q enthält das Thomasevangelium wenig oder gar nichts über Jesu Geburt, sein Leben und seinen Tod. Es handelt sich um einhundertvierzehn Zitate, die alle mit den Worten ›Jesus sagte …‹ anfangen. Viele der Zitate im Thomasevangelium sind denen bei Matthäus und Lukas verblüffend ähnlich . Für die Forscher ist es deshalb unstrittig, dass er das gleiche Quellenmaterial besaß wie diese beiden. Kannst du mir noch folgen? «
» In etwa. «
» Das Thomasevangelium bestätigt indirekt, dass Matthäus und Lukas in Übereinstimmung mit Thomas eine gemeinsa me Quelle gehabt haben müssen. Eine Schrift, aus der sie abschrieben und die sie ausschmückten, je nachdem, wie sie ihre Leser von ihrer Version des Lebens Jesu überzeugen wollten. Das Interessante ist, dass der Verfasser von Q und vermutlich auch seine Zeitgenossen Jesu Worte anders deuteten als die Verfasser und Leser der Bibel. «
» Ziemlich heikel, mit anderen Worten. «
Gert beißt sich nickend auf die Unterlippe. » You bet! 1989 begann eine Gruppe von Wissenschaftlern, die Q-Logienquelle zu rekonstruieren, indem sie die biblischen Texte von Lukas und Matthäus mit denen von Thomas verglichen. Schon diese Arbeit allein hat zu einer kontroversen und hitzigen Debatte über die Entstehung des Christentums geführt. «
Ich sehe Gert an, und er blickt zu mir. Bestimmt fragt er sich, was das Ganze soll.
» Was würde geschehen, wenn jemand das Q-Manuskript finden würde? «, frage ich.
Er schüttelte abwesend den Kopf. » Ich wage nicht einmal daran
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