Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
grausame Massenvernichtung unschuldiger Menschen durch den Staat sollte mit dem 1939 mutwillig durch die nationalsozialistischen Verbrecher ausgelösten Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zu einer Orgie des Tötens anschwellen, die bis heute jegliche menschliche Vorstellungskraft übersteigt.
Bereits der Erste Weltkrieg hatte die Menschen in allen europäischen Ländern wie eine Geißel getroffen, mit der die Geschichte sie für die blinde Vermessenheit strafte, sich über andere erheben und die Interessen ihrer vermeintlichen Nationen mit militärischer Gewalt durchsetzen zu wollen. Im Nachhinein als geradezu harmlos erscheint diese Erfahrung freilich im Blick auf den Zweiten Weltkrieg: Im Verein mit seinem italienischen Kleinableger Benito Mussolini gelang es dem deutschen »Führer«, seine räuberischen Absichten in eine Ideologie zu kleiden und damit dem Volk vorzugaukeln, es gehe darum, das durch »die Vorsehung« geadelte Gute gegen die bei den Gegnern angesiedelten Interessen des Bösen zu behaupten – während es der sowjetische Diktator erfolgreich vermochte, die vaterländische Verbundenheit seines Volkes für die Pflicht zu missbrauchen, sein Leben für die menschenverachtende Ideologie des Stalinismus hinzugeben.
Das Kunststück, den Geist der Menschen mit Hilfe von Ideologien zu vernebeln, sollte sich erst nach einem weiteren entbehrungs- und opferreichen halben Jahrhundert, mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des sowjetischen Reichs, endgültig als geschichtliche Illusion erweisen. Die Überzeugung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, mit der die westlichen Alliierten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs so viele kritische Situationen gemeistert und schließlich den Sieg errungen hatten, wurde zum Grundstein für das neue Europa – zuerst im westlichen Teil des Kontinents und schließlich, am Ende des Jahrhunderts, auch für die bis dahin unter dem sowjetischen Joch unterdrückten Völker im Osten. Verwirklicht werden konnte dieser grandiose geschichtliche Erfolg, weil die Europäer – mit Unterstützung der Amerikaner – nach dem Ende des Krieges endlich die Kraft gefunden haben, die richtigen Lehren aus ihrer Geschichte zu ziehen.
Sie lauten, dass grundlegende wirtschaftliche und soziale Interessengegensätze unter den Völkern schneller als gedacht gefährlichen Neid – und später Hass – hervorrufen können, wenn aus diesem Nährboden Ideologien hervorsprießen und durch politische Verführer für ihre Zwecke missbraucht werden. Jean Monnet war es, der den festen Grundstein für den historischen Wandel gelegt hat. Vor allem er war es, der die Erkenntnis durchsetzte, dass es nur ein Rezept gibt, das gegen eine Wiederholung der vorangegangenen Erfahrungen immunisieren kann: den Bürgerinnen und Bürgern Europas Schritt um Schritt zu gleichen sozialen und wirtschaftlichen Chancen zu verhelfen – indem die Grenzen zwischen ihren Ländern niedergerissen und durch eine gemeinschaftliche politische Führung ersetzt werden.
Dass dies auch in Zukunft so bleibt, scheint auf dem Hintergrund des dramatischen Ringens der Europäer um ihre gemeinsame Zukunft, das uns während der letzten Jahre umgetrieben hat, und unter dem Eindruck der begleitenden Sirenengesänge mancher von der eigenen Bedeutung berauschter Leitartikler, eitler Professoren oder nach Bekanntheit gierender Talkshow-Teilnehmer keineswegs sicher zu sein. Diejenigen, die unsere geschichtlichen Wege und Irrwege kennen, wissen hingegen ein Lied davon zu singen, was geschehen kann, wenn man meint, man könne die eigene Haut retten, indem man teilnahmslos zusieht, wie der Nachbar von den Fluten verschlungen wird.
KAPITEL IV
AUF DER SUCHE NACH EINER IDENTITÄT
So weit, so gut. Die geschichtliche Erfahrung und der nüchterne Verstand gebieten zwingend, auf die Stimme der Vernunft zu hören, anstatt uns von Emotionen hinreißen zu lassen. Keinem Verführer darf es je wieder gelingen, Kriege unter europäischen Nachbarn vom Zaun zu brechen – und nie wieder dürfen wir bereit sein, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen noch so süß klingende Schalmeienklänge einzutauschen.
Reicht das aber als Begründung dafür aus, unser gesamtes Wohl und Wehe unauflöslich mit dem Schicksal anderer Völker zu verknüpfen? Auch wenn sie uns alle in der einen oder anderen Art nahestehen sollten – bleiben nicht doch genügend Unterschiede, die vor allzu vorschnellen Umarmungen warnen? Angefangen vom Klima, in
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