Egorepublik Deutschland: Wie uns die Totengräber Europas in den Abgrund reißen (German Edition)
Gelegenheit, sich zu »profilieren«. Im Mittelpunkt der Dispute stand bald ein Thema, das in den folgenden langen Jahren bis zur Einführung des Euro – 1998 als Buchgeld und 2002 als Bargeld – ständig auf der Tagesordnung bleiben sollte. Bis heute bildet es den Dreh- und Angelpunkt im politischen Ringen um die weitere Vereinigung Europas – und bis heute scheint es einen unwiderstehlichen Reiz auf die Geltungssucht mancher eitler Ökonomen auszuüben …
Es geht um die Frage, inwieweit eine gemeinsame Währung die beteiligten Länder, ob sie wollen oder nicht, am Ende unweigerlich zwingen wird, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schaffen – oder ob umgekehrt eine gemeinsame Währung zum Scheitern verurteilt ist, wenn sich die beteiligten Länder nicht schon vor ihrer Einführung auf eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik geeinigt haben. Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing waren davon überzeugt, dass nur der erste Weg zum Erfolg führen könne. Sie wussten, dass es ohne einen solchen Druck niemals gelingen würde, die Partnerstaaten vom Verzicht auf wesentliche Teile ihrer traditionellen Eigenständigkeit zu überzeugen. Zu den historischen Verdiensten von Helmut Kohl zählt es, dass er als Nachfolger von Schmidt besonders in den 90er Jahren trotz massiver Querschüsse aus den eigenen Reihen – wie etwa durch den chronischen Nörgler Kurt Biedenkopf – unbeirrt an der gleichen Linie festgehalten hat. In der Kohl-Biografie von Hans-Peter Schwarz ist das eindrucksvoll nachzulesen. Im Verlauf der jüngsten, bis an den Rand einer Katastrophe führenden Schuldenkrise der europäischen Staaten ist noch einmal deutlich geworden, wie sehr Schmidt wie Kohl Recht hatten – und haben: Ohne die gemeinsame Währung hätte sich niemals der Weg in eine breite politische Vereinigung öffnen lassen! Ich werde noch darauf zurückkommen.
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Im März 1979 war es schließlich so weit: Das Europäische Währungssystem konnte in Kraft treten. Die drei Benelux-Staaten und Dänemark schlossen sich von Anfang an Frankreich und Deutschland an, Italien und Irland folgten kurz darauf (Großbritannien sicherte sich eine Art von »bevorrechtigter Partnerschaft«, indem es sich formal die Tür für einen späteren Beitritt offenhielt). Die Tore für einen weiter fortschreitenden politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluss Europas waren unwiderruflich geöffnet.
Auf Helmut Schmidt folgte 1982 Helmut Kohl als Bundeskanzler, Valéry Giscard d’Estaing verlor 1983 die anstehende Präsidentschaftswahl gegen François Mitterrand. Beide Ereignisse kennzeichneten den Beginn einer neuen Ära. Sie war geprägt durch eine weltpolitische Umwälzung, die für ausnahmslos alle europäischen Länder eine grundlegend neue Ausrichtung erzwang und folglich Vorrang vor jeglichen anderweitigen Herausforderungen beanspruchte: die fortlaufende innen- wie außenpolitische Erosion der bisherigen weltpolitischen Rolle der Sowjetunion bis hin zum Zusammenbruch der DDR und zur deutschen Wiedervereinigung gleich zu Beginn der 90er Jahre.
Die Bemühungen um eine weitere Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit ließen trotzdem nicht nach. Unter dem Vorsitz ihres seit 1985 amtierenden Präsidenten Jacques Delors konzentrierten sie sich allerdings immer stärker auf die Europäische Kommission in Brüssel. Dass diese Entwicklung keineswegs ausschließlich mit den erwähnten weltpolitischen Vorgängen zusammenhing, lag freilich in erheblichem Maß auch in den Persönlichkeiten des deutschen Bundeskanzlers und des französischen Präsidenten begründet: Helmut Kohl, dessen große Stärke zweifellos weniger in seiner Fähigkeit zum Denken und Handeln in großen Zusammenhängen als in seiner manchmal womöglich bieder-provinziell wirkenden, jedenfalls aber äußerst erfolgreichen Neigung zu zupackend pragmatischem Vorgehen zu suchen war, François Mitterrand, mit allen Wassern der seit jeher trickreichen französischen Innenpolitik vertraut und entsprechend misstrauisch darüber wachend, dass der große und wirtschaftlich so erfolgreiche Nachbar jenseits des Rheins auf keinen Fall den europäischen Führungsanspruch der von ihm repräsentierten »Grande Nation« gefährdete.
Neben der zwingend erforderlichen Konzentration auf die Folgen des Geschehens in der Sowjetunion waren es genau diese Eigenheiten, die dazu führten, dass das Projekt der europäischen Vereinigung zunehmend in den Ruf geriet,
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