Ehe auf krummen Beinen
Ein glockenförmiger Hut hing ihr über die Augen. Wenn sie ausging, würde sie einen Blindenhund brauchen. Sie stellte sich graziös vor die Kamera, und Eva blitzte und knipste aus allen Schußwinkeln. Sie verschwand, und die nächste trat auf. Sie trug ein Abendkleid wie eine garnierte Kremtorte und lächelte verzückt in die Linse. Als die dritte erschien, fiel mir der Unterkiefer aufs Halsband, und ich wußte, was ich vorhin gerochen hatte. Es war Reni, die blonde Göttin aus der Hotelbar, die so gekonnt die Treppe hinuntergefallen war.
Ich hätte mich lieber ruhig halten sollen, aber ich kann meine Bekannten so schwer verleugnen. Ich lief auf sie zu und wedelte fröhlich. Sie erkannte mich.
«Blasius!» rief sie, «wie kommst du denn hierher? Wo hast du Herrchen gelassen?»
Sie trug ein Kleid, das wie ein Sack über ihre Figur fiel. Irgend jemand hätte ihr einen Gürtel geben sollen. Sie hockte sich vor mich hin und streichelte mich. Eva kam heran.
«Kennen Sie ihn?»
«O ja», zwitscherte Reni. «Aus der Palastbar. Sein Herr gab ihn mir zur Aufbewahrung. Süß war er.»
Es blieb offen, ob ich oder der Herr gemeint war. Reni erhob sich. Die Damen lächelten sich an.
Eva sagte: «Diesmal muß ich ihn aufbewahren.»
«Kennen Sie Herrn Nogees auch?»
«Ich kenne ihn auch.»
«Netter Mann, nicht?»
«Sehr nett.»
Reni sah Evas Ring, aber sie schien nichts daraus zu schließen.
«Grüßen Sie ihn bitte von mir, wenn Sie ihn sehen. Von Reni. Er soll sich mal wieder blicken lassen.»
«Danke. Mach ich gerne. Wollen wir knipsen, Fräulein Reni?»
Reni nickte voller Huld. Sie legte die Arme auf die Hüften und stellte die Beine verdreht hintereinander, wie es nur Mannequins können und sonst niemand. Das blonde Haupt warf sie zurück. So wurde sie mitsamt dem Sackgewand verewigt. Dann verschwand sie hinter dem Vorhang, nicht ohne mir zugewinkt zu haben. Ich blickte sorgenvoll zu Eva. Es war nichts an ihr zu bemerken, sie lächelte bloß leise. Erzstabile Frau.
Es ging noch lange weiter. Alle Mädchen, Reni eingeschlossen, kamen in tollen Verkleidungen wieder. Ich setzte mich zeitweise neben den Vorhang, hinter dem die Tür offen stand, und hörte die Mädchen kichern und Witze erzählen, durchaus keine harmlosen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich errötet. Wo sie das nur herwissen!
Zur Mittagszeit war Schluß. Eva packte zusammen, die Kleider wurden abtransportiert, die Mädchen beeilten sich fortzukommen. Reni verabschiedete sich und strich mir über die Figur.
«Bye, bye, Blasi! Grüß Herrchen schön!»
Meine Ohren rochen noch drei Tage nach ihrem Parfüm.
Wir aßen im Erfrischungsraum des Hauses zu Mittag, auf Spesenkonto. Eva kaufte noch ein. Dann rollten wir heimwärts. Den ganzen Nachmittag hatten wir mit dem Entwickeln zu tun. Am Abend kam Dan guter Dinge nach Hause. Er hatte eine geistige Flasche mit. Beim Abendschoppen sagte Eva: «Schönen Gruß von Reni. »
«Danke. Wer ist das?»
«Kennst du nicht?»
«Nein.»
«Blasius kennt sie.»
«Ist es ein Hund?»
«Ein Mädchen. Sehr blond, noch schlanker. Palastbar.»
Dan kramte in seinem Gedächtnis.
«Palastbar? Na, ich kenne billigere — ach, jetzt poltert der Groschen. Die Brillantengeschichte. Ja. Fiel die Treppe hinunter in meine Arme. Hütete Blasi, während ich beim Direktor war. Das ist Reni! Wie kommt's?»
«Sie geriet mir vor die Linse. Heute bei Lettenkamp.»
«Mit oder ohne was an?»
«Mit.»
«Uninteressant.»
Dan küßte die Fotografin. Damit war der Fall für diesmal erledigt. Leider noch nicht für immer.
Wenn ich an die folgenden Tage zurückdenke, möchte ich sie nicht missen. Aber sie brachten elende Unruhe in mein Dasein.
Die Liebe packte mich.
Zum erstenmal sah ich Loni im Park, bei einem der abendlichen Spaziergänge. Mein Herz fing an zu buppern, als hätte ich einen Hasen gejagt.
Sie war kleiner und zierlicher als ich. Träumerische Augen, Nase tiefschwarz, hellbraunes Fell mit kleinen, sinnverwirrenden Löckchen. Einen Gang hatte sie wie die Mannequins im Kaufhaus Lettenkamp, wenn sie die teureren Modelle trugen. Sie tänzelte, berührte kaum den Boden. Dan sagt auch immer, daß man eine Frau erst gehen sehen muß, bevor man sich entscheidet. Manche machen im Sitzen viel her und latschen dann wie ein Soldat auf dem Rückzug.
Ich sah sie gehen und entschied.
Das schönste Dackelmädchen der Welt. Ungefähr ein halbes Jahr jünger als ich, genau die richtige Preislage. In meinen Eingeweiden
Weitere Kostenlose Bücher