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Ehe auf krummen Beinen

Ehe auf krummen Beinen

Titel: Ehe auf krummen Beinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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allem, daß der Spiegel nicht umgekippt war und ich kein Loch hineingebohrt hatte. Das wäre noch zwei Straßen weiter zu hören gewesen. Aber es war ein sehr stabiler Spiegel aus der guten alten Zeit.
    Ich mußte mich sammeln und lauschte, ob vielleicht doch jemand käme. Nichts. Nur die Gurken dufteten. Da warf ich noch einen verachtungsvollen Blick in den Spiegel und schlich weiter.
    Der Gang endete an einer Treppe. Sie hatte hohe, steinerne Stufen und schien kein Ende zu nehmen. Dennoch. Es blieb nichts übrig, als nach oben durchzubrechen.
    Ich erreichte eine massive Holztür. Auch sie war nur angelehnt. Wahrscheinlich hatte ich den Tag der offenen Tür erwischt. Ich schob mich vorsichtig durch und sah einen Vorraum mit Steinfußboden, ein paar Schränken und mehreren Türen. Gleichzeitig schlug mir wieder der nahrhafte Geruch in die Nüstern, und ich hörte zwischen Geschirrgeklapper eine Mädchenstimme summen:
    «Wo weilst du, Geliebter mein?»
    Keine Ahnung, dachte ich. Nur ich bin in der Nähe. Ich lief schnell und lautlos durch den Raum, in der Hoffnung, einen Ausgang zu finden. Aber diesmal war's Essig. Alles zu, bis auf die Küchentür.
    Ich nahm Deckung hinter einem der Schränke. Was tun? Jeden Augenblick konnte jemand kommen und über mich stolpern. Zurück in den Keller war Blödsinn. Da konnte ich gleich anfangen zu bellen. Und in der Küche war das Mädchen. Wenn sie herauskam?
    Es war, als hätte sie meine Gedanken erraten. Ihre Schritte und ihr Gesang wurden lauter. Sie erschien in der Tür. Zu meiner ungeheuren Erleichterung ging sie in die andere Richtung, fort von dem Schrank, hinter dem ich saß. Ich hörte, wie sie eine Tür öffnete und Licht anknipste. Schien sich um einen Vorratsraum zu handeln.
    Es gab nur einen Weg. Ich strich um den Schrank herum und in die Küche, leise wie eine Nachteule. Kaum drinnen, sah ich, daß es verkehrt gewesen war.
    Keine andere Tür, kein zweiter Ausgang, Fenster viel zu hoch. Ein Riesending mit gefliestem Fußboden, alles in blankem Weiß. In der Mitte ein gewaltiger Herd und darauf die Töpfe, aus denen der Duft emporstieg. Ein gesegneter Aufenthaltsort, nur nicht im Augenblick.
    Draußen klappte die Tür. Das Mädchen kam zurück. Gute Nacht. Ich lief von der Tür weg und hinter den Herd. Noch ein paar Sekunden und der Bart war ab. Sie würden mir das Fell abziehen und mich den Schweinen zum Fräße vorwerfen.
    Da sah ich die Rettung.
    In der Wand rechts von der Fensterseite war eine Öffnung. Knapp einen Meter hoch, rechteckig, mit einem Holzrahmen. Daneben eine Tafel mit ein paar Druckknöpfen.
    Ein Stuhl stand davor, wie die Aufforderung zum Tanz. Es war keine Zeit zum Überlegen. Ich hopste auf den Stuhl, sah hinter der Öffnung einen Holzkasten, den ein Brett in zwei Hälften teilte. Ich kroch in das untere Abteil, in dem es betäubend nach Schmorbraten roch. Ich wollte mich so weit wie möglich ins Innere zurückziehen und geriet mit den Vorderpfoten zwischen weiche Kugeln, die ich unschwer als Erbsen erkannte. Dann drückte ich mich an die hintere Wand, gerade als das singende Mädchen die Küche betrat. Ich hielt mich still und wagte kaum zu atmen.
    Das war saumäßig schwer, denn direkt unter meiner Nase stand der Schmorbraten. Von Natur aus bin ich nicht diebisch veranlagt. Aber die Natur kehrte sich gegen mich. Ich konnte nicht widerstehen. Ich nahm unendlich behutsam eine zarte Scheibe zwischen die Zähne und fraß sie auf. Welche Wohltat nach all den Strapazen! Fast vergaß ich mein ungewisses Schicksal. Das war ein Schmorbraten!
    Das Mädchen merkte von alledem nichts. Sie war zu sehr mit ihrem Geliebten beschäftigt und wo er weilen mochte. Sie klapperte am Herd herum, rührte in einem Topf. Dann faßte sie einen Stapel Teller und kam direkt auf mein Appartement zu. Um ein Haar wäre mir der letzte Bissen im Hals steckengeblieben. Aber sie sah mich nicht. Sie stellte die Teller in das obere Geschoß, immer trällernd und guter Dinge. Als sie sich abwandte, konnte ich die Schleife sehen, mit der ihre Schürze zugebunden war. Mit einer Soßenschüssel kam sie wieder und schob sie unten hinein, ohne sich darum zu kümmern, wer zwischen dem Menü hockte.
    Gerade wollte ich die zweite Scheibe des Schmorbratens zu mir nehmen. Da passierte es. Das Mädchen kam noch einmal zurück. Sie faßte an einen Griff und zog eine Wand herunter vor meinen Käfig. Es wurde stockdunkel. Ich begann zu glauben, daß es sich um eine Art Falle handelte, aber mich

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