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Ehe auf krummen Beinen

Ehe auf krummen Beinen

Titel: Ehe auf krummen Beinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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wunderte die Qualität der Lockspeise.
    Plötzlich gab es einen Ruck. Der Kasten hob sich an. Vor Schreck rückte ich von der Wand ab und trat wieder in die Erbsen. Das machte mich noch nervöser. Ich versuchte, herauszukommen, erreichte aber nur, daß ich mit der anderen Pfote in eine weiche, zähe Masse geriet. Sicher war das ein Teil der Falle. Ich wagte nicht mehr, mich zu rühren, solange das Ding in Bewegung war.
    Es fuhr aber nicht lange. Mit dem gleichen Ruck wie vorher hielt es. Dann wurde das Brett hochgezogen und grelles Licht fiel in die Kabine. Geblendet blinzelte ich über den Schmorbraten hinweg.
    Zwei Hände nahmen die Soßenschüssel. Sie gehörten einem jungen Mädchen, noch Schulalter. Als sie fortging, sah ich in ein großes, behagliches Zimmer. An den Wänden hingen Geweihe und durchlöcherte Schießscheiben. Auf dem Fußboden lagen Teppiche, bedeutend wertvoller als unsere. Unter einer großen Lampe, die auch aus den Stangen von toten Böcken gemacht war, stand ein viereckiger, weißgedeckter Tisch. Daran saßen eine grauhaarige, achtungerregende Dame mit lustigen Augen und in steirischer Tracht und ein jüngerer Herr, der die gleichen Augen hatte und sehr vergnügt aussah. Am Kopf des Tisches, meinem Käfig genau gegenüber, thronte der majestätische Mann mit dem Bart und dem Narbengesicht, den ich aus dem Park schon kannte. Er band sich gerade eine ungeheure Serviette um den Hals.
    Da verstand ich, was vorging. Ich saß im Mittagessen.
    Das junge Mädchen kam zurück. Sie bückte sich, faßte unten hinein, zog am Rand der Erbsenschüssel. Die wollte nicht raus, weil ich drinstand. Das Gesicht des Mädchens erschien vor mir. Sie wurde geisterbleich, stieß einen gellenden Schrei aus und floh in Richtung des Tisches.
    Alles fuhr hoch.
    «Aber Gusti!» rief die Dame tadelnd. «Was ist denn in dich gefahren?»
    «Ein Gespenst!» rief das Mädchen zitternd. «Ein ganz schwarzes Tier — ein Hund oder eine Katze — im Aufzug —»
    Der junge Mann lachte. «Wird sich wieder mal um Herrn Pepi handeln oder sein Töchterchen.»
    «Schwätze keinen Unsinn, mein Sohn», sagte der Hausherr. «Sie sind beide hier. Was ist also, Augusta?»
    «Es ist bestimmt ein Tier drin, Onkel Ludwig», sagte das Mädchen Augusta kläglich. «Huh — ich geh nicht wieder hin!»
    Die Dame stand auf. «Na, dann werd ich mal schauen.» Sie kam heran, ohne zu zögern. Ihre scharfen Augen erfaßten die Sachlage in wenigen Sekunden. Sie blieb würdevoll wie vorher, aber ich hätte schwören können, daß es leise gezuckt hatte in ihrem Gesicht. Sie richtete sich wieder auf.
    «Gusti hat recht», sagte sie kurz und sachlich. «Kein Gespenst, aber ein fremder Dackel. Mit einem Fuß steht er in den Erbsen, mit dem anderen in einem Kloß. Eine Scheibe Schmorbraten hat er gefressen. Außerdem ist er voller Kohlenstaub.»
    Einen Augenblick blieb alles starr. Dann riß der alte Herr sich die Serviette vom Halse, sprang hoch, daß der Tisch ins Wanken geriet, war mit zwei Schritten an einem Schrank mit Glasfenstern und riß ihn auf. Ich sah eine Schrotflinte in seinen Händen. Mit wuchtigen Schritten kam er zum Speiseaufzug, legte an und rief donnernd: «Komm augenblicklich hervor, Bursche! Sonst ist's dein letztes Stündlein! »
    Es wäre mir zuviel gewesen, jetzt auch noch erschossen zu werden. Sie waren in der Übermacht und bewaffnet. Ich hatte keine Lust, ausgestopft auf seinem Kamin zu stehen.
    Mühsam stieg ich über die Schüsseln. Der Kloß haftete wie Gummi an meiner Pfote und war nicht abzubringen. Ich trat noch einmal in den Schmorbraten, aber die Erbsen umging ich. Dann sprang ich herunter auf den Teppich. Der Kloß dämpfte den Aufprall.
    Jetzt, im hellen Licht, sah ich mich in ganzer Pracht. Ich trug den Kloß wie einen Gipsverband um die linke Pfote. Die rechte war mit Erbsen garniert. Im Gesicht, an der Brust und links hinten hatte ich Bratensoße. Das war das einzige von meiner ursprünglichen Farbe. Denn im übrigen war ich dick mit Kohlendreck überzogen und schwarz wie ein Köhler im Walde. Kein Wunder, daß ich mich im Spiegel für eine Ratte gehalten hatte.
    Sie starrten mich stumm an. Das junge Mädchen kam langsam näher. Die Mutter und der Sohn des Hauses hatten Mühe, den feierlichen Ernst zu bewahren. Nicht aber der Hausherr. Noch geraume Zeit heftete er sein grimmiges Auge über Kimme und Korn auf mich. Dann setzte er die Flinte ab und rief: «Ich kenne ihn! Ich erkenne ihn trotz seiner Tarnung! Es ist der

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