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Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Besuch …«
    »Das ist nicht das Gleiche«, fiel mir Frau Klein ins Wort. »Seit mein Josephgotthabihnselig nicht mehr ist …«
    Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Pfarrer Hoffmann den Mittelgang entlanggeschritten, und Christel Hagen begann, auf der Orgel zu spielen. Entweder war es etwas sehr Modernes, Atonales, oder sie griff wieder mal hoffnungslos daneben. Frau Klein verstummte.
    Pfarrer Hoffmann verschenkte sein strahlendes Lächeln nach links und rechts. Auch ich bekam eins und versuchte, möglichst kühl zurückzulächeln. Der Mann führte meine Mutter in Versuchung! Frau Klein neben mir machte die Wirkung meines eisigen Lächelns aber zunichte. Sie lächelte so intensiv, dass ihr beinahe das Gebiss aus dem Gesicht fiel.
    »Dieser Mann ist solch ein Glücksfall für die Gemeinde«, flüsterte sie mir zu. »Zuerst habe ich ja geglaubt, er ist zu jung für dieses Amt, aber dieses Urteil musste ich revidieren. Er versieht seine Arbeit mit so viel Liebe und Hingabe.«
    »In der Tat«, murmelte ich. Ich fand, dass er vor allem seine Arbeit mit meiner Mutter mit zu viel Hingabe ausübte, ja, ich fürchtete, dass sich seine Seelsorge schon längst nicht mehr auf die Seele meiner Mutter beschränkte. Und ich fürchtete, dass ihr das gefiel.
    Als der Kirchenchor anfing zu singen, kam noch ein verspäteter Gottesdienstbesucher. Die Tür knarrte unschön, und alle drehten neugierig ihre Köpfe, ich auch. Der verspätete Besucher war eine Frau mit langen feuerroten Haaren, die über ihre Schultern wallten und fast bis zu ihrer schmalen Taille reichten. Ihr Anblick war so ungewöhnlich, dass der Gesang des Chores ein paar Takte lang äußerst dünn klang. Die Frau trug ein eng anliegendes flaschengrünes Oberteil, das an allen möglichenund unmöglichen Stellen mit Reißverschlüssen versehen war. Ein langer, bis zum Po geschlitzter Rock gab den Blick auf ihre schlanken Beine frei, die in schwarzen, hochhackigen Stiefeln steckten, deren Absätze auf dem Steinboden laut klapperten. Die Augen waren mit Lidschatten in verschiedenen Grüntönen betont, die vollen Lippen mit einem dunkellila Lippenstift nachgezogen.
    Ich wusste sofort, dass sie Gilberts Mutter sein musste, Lydia Kalinke. Ich wünschte, Gilbert hätte ihr zu einer etwas dezenteren Aufmachung geraten. Das Make-up war so dick aufgetragen, dass man nicht sagen konnte, wie alt sie war. Auf jeden Fall unter fünfzig und über dreißig. Sie ignorierte unsere Blicke, musterte ihrerseits die Bankreihen und ließ sich schließlich neben ein paar staunenden Senioren nieder.
    Der Gottesdienst nahm seinen Lauf. Pfarrer Hoffmann predigte über den ersten Brief des Paulus an die Korinther.
    »Wer traurig ist, lasse sich nicht von seiner Trauer binden«, sagte er. Mir schien, als sähe er dabei meine Mutter an. Sie neigte ganz leicht den Kopf. Nickte sie etwa zustimmend?
    »Wer sich freut, verliere nicht viel Zeit mit seiner Freude. Wer einkauft, hänge sich nicht an seinen Besitz«, fuhr Pfarrer Hoffmann fort. »Denn die Welt mit allem, was sie ausmacht, geht vorüber.«
    »Das verstehe ich nicht«, murmelte ich leise. Sollte man nicht gerade den Augenblick genießen und versuchen, ihm so viel wie möglich an Freude abzuringen, eben weil das Leben so kurz war?
    Leider blieb mir keine Zeit, über eine Antwort nachzugrübelnoder durch Pfarrer Hoffmanns Ausführungen weise zu werden. Völlig überraschend spürte ich nämlich, wie sich das Frühstück einen Weg vom Magen zurück durch meine Speiseröhre bahnen wollte. Ich sprang auf, rannte den Mittelgang hinab, durch die knarrende Kirchentür auf den Vorplatz. Hier übergab ich mich in die Rabatte, in der noch ein paar späte blassgelbe Rosen dem ersten Frost entgegensahen. Ich konnte meine schnelle Reaktion nur bewundern. Hätte ich mich auch nur zwei Sekunden länger über das gewundert, was da mit mir geschah, ich hätte Frau Kleins wohlgeputzte Schuhe ruiniert. Oder die ihres Hundes.
    »Ja, ja, du bist auch noch da«, sagte ich zu dem Baby. »Als ob ich dich vergessen hätte …«
    Mein Magen beruhigte sich wieder. Ich holte ein paarmal tief Luft und schlich dann zurück auf meinen Platz.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Frau Klein flüsternd.
    Ich nickte. »Ein schrecklicher Hustenanfall«, flüsterte ich zurück. »Wollte den Pfarrer nicht stören.«
    Frau Klein wickelte ein Hustenbonbon für mich aus. »Hier, das hilft!«
    Eukalyptus lutschend verfolgte ich den Rest der Predigt, verstand aber weder Paulus noch

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