Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
Gesprächen geradezu giere!«
»Sie ist sonst ein sehr umgänglicher Mensch«, sagte Amelie, als sie draußen waren. »Ich weiß auch nicht, was zur Zeit in sie gefahren ist.«
»Aber Amelie! Das liegt doch auf der Hand. Deine Tochter ist eifersüchtig und verletzt. In ihrem Alter hättest du vielleicht ähnlich kindisch reagiert.«
»Meinst du?«, fragte Amelie. Sie hatte durchaus ihre eigene Theorie zu Louisas Verhalten, aber sie mochte es, wenn Benedikt ihr das Denken abnahm, als sei sie selbst dazu zu schwach.
»Aber ja«, sagte Benedikt. »Sie ist schließlich auch nur eine kleine Frau, die sich nach Liebe und Zuneigung sehnt.« Sie waren am Ende der Straße angelangt, wo die Sackgasse in einen Feldweg überging, der von den Wohnhäusern nicht einzusehen war. Benedikt legte den Arm um Amelies Schultern. »Jede Frau sehnt sich doch nach jemandem, der sie begehrt, oder?«
Was wollte er damit sagen? Dass Louisa Amelie um Benedikt beneidete? Dass sie ihn für sich haben wollte? Amelie hielt das für ziemlich ausgeschlossen. Erstens hatte das Kind einen Freund in Berlin, zweitens war der Pfarrer zwar umwerfend, aber aus Louisas Perspektive viel zu alt. Und drittens …
»Ich begehre dich , Amelie«, unterbrach Benedikt ihre Gedanken. »Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich dich wunderschön und anziehend finde.«
O Gott! Amelie bekam für eine Sekunde keine Luft mehr.
»Seit ich dich das erste Mal gesehen habe«, fuhr Benedikt fort, während er mit seinen Fingerknöcheln ganzsanft die Linien ihres Gesichtes nachfuhr. »Wie du auf dem Sofa saßest, so hilflos, so voller Tränen … Ich möchte die Schulter sein, an die du dich anlehnen kannst.«
Sein Fingerknöchel machte an ihren Lippen halt, die, wie Amelie merkte, unkontrolliert zu zittern begonnen hatten. Für den Bruchteil einer Sekunde kam ihr der Gedanke, ihn von sich zu stoßen und wegzulaufen, weil es nicht Robert war, der ihre Lippen berührte.
Der schwarze Abgrund unter ihr öffnete seinen Schlund. Nur Benedikts Hand in ihrem Rücken verhinderte ihren Absturz. Als sie an ihn gepresst wurde, war sie wieder vierzehn Jahre alt und knutschte mit Peter Bahnmüller unterm Kirschbaum im Garten ihrer Eltern. Die Angst, erwischt zu werden, verursachte ein köstliches Kribbeln in ihrem Bauch.
»Guten Tag«, sagte jemand. Amelie stieß vor Schreck einen schrillen Schrei aus, und auch Benedikt fuhr zusammen. Vor ihnen auf dem Weg stand wie aus dem Boden gewachsen ein junger rothaariger Mann.
Gott sei Dank niemand, den ich kenne , dachte Amelie unendlich erleichtert. Nicht auszudenken, es wäre jemand aus der Familie Hagen gewesen, der gesehen hätte, wie sie und der neue Pfarrer sich innig küssten. Der Skandal wäre perfekt gewesen.
Amelie fasste sich an die glühend heißen Wangen.
»Guten Tag«, erwiderte Benedikt gefasst.
»Herr Pfarrer! Frau Schneider«, sagte der Fremde im Vorbeischlendern und nickte dabei freundlich.
Amelie und Benedikt tauschten einen schockierten Blick.
Louisa
M
eine Mutter hatte sich sehr verändert. Ständig sah ich sie vor irgendeinem Spiegel stehen und sich darin betrachten. Wenn ich mit ihr redete, hörte sie nicht zu. Sie schien überhaupt nicht mitzubekommen, was um sie herum geschah, was mit mir geschah! Nur wenn Pfarrer Hoffmann kam, legte sie ein halbwegs normales Verhalten an den Tag. Wenn es denn normal war, mit dem Pfarrer zu flirten. Oder mehr als nur flirten, was ich nicht hoffte, aber insgeheim befürchtete.
»Ist es möglich, dass jemand innerhalb von ein paar Wochen eine ganz andere Persönlichkeit entwickelt?«, fragte ich Betty am Telefon.
»Keine Ahnung, du bist das Psycho-Genie von uns beiden«, sagte sie. »Vielleicht steht deine Mutter noch unter Schock.«
»Ich glaube nicht, dass jemand, der unter Schock steht, das Bedürfnis verspürt, auf die Sonnenbank und zur Kosmetikerin zu gehen«, erwiderte ich nachdenklich. »Sie hat sich sogar ihre Beine mit Heißwachs enthaaren lassen. Und sie hat mindestens fünf Kilo abgenommen.«
»Ich finde, das ist eher ein gutes Zeichen, wenn sie sich nicht hängenlässt«, sagte Betty. »Besser, als würde sie den ganzen Tag im Bett liegen und sich nicht mal zum Zähneputzen aufraffen.«
»Hm«, machte ich. »Sie merkt nicht mal, wie mies es mir geht. Oder falls sie es merkt, dann ist es ihr egal. Wenn du sie vorher gekannt hättest, würdest du verstehen, was ich meine. Ich mache mir wirklich Sorgen. Ständig liest sie diese Bücher. Es klingt ein Leid in
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