Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
allenDingen oder Die Kunst des Trauerns . Und dann lässt sie sich vom Pfarrer mit Komplimenten zuschleimen, als wären sie und Papa nicht das verliebteste Paar gewesen, das jemals Silberhochzeit gefeiert hat!«
Betty versuchte, mich zu beruhigen. »Für mich hört sich das gar nicht so schlimm an. Lass sie halt mit dem Pfarrer flirten, wenn es ihr guttut. Wie es sich anhört, bist du jedenfalls ziemlich überflüssig da.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Komm endlich nach Hause, Lou. Diese Verzögerungstaktik sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
»Ich kann nicht«, sagte ich unglücklich.
Betty seufzte. »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass sich vielleicht gar nicht deine Mutter verändert hat, sondern du?«
War das möglich? Ich dachte intensiv über diese Frage nach und kam zu dem Schluss, dass ich die Alte geblieben war. Nur die Umstände waren neu.
Am Sonntag begleitete ich meine Mutter zur Kirche.
»Was, du willst freiwillig in den Gottesdienst?«, fragte sie, während sie in einen neuen schwarzen Rock schlüpfte, ein modischer Tunnelzugrock in Größe 40, der mühelos über ihre Hüften glitt. Der weiße Pulli, den sie dazu trug, war ebenfalls der letzte Schrei, kurz, tailliert und mit einem weiten Rundhalsausschnitt versehen.
»Ich will nur nicht verpassen, wenn der Chor singt«, log ich.
Meine Mutter betrachtete sich zweifelnd im Spiegel. »Findest du, dass mein Hintern zu dick für diesen kurzen Pullover ist?«
»Welcher Hintern?«, fragte ich. »In dem Rock hast du ja praktisch keinen mehr.«
Meine Mutter freute sich. »Jetzt übertreibst du aber«, sagte sie lächelnd. Dann musterte sie mich kritisch. »Willst du wirklich in diesen alten Jeans in die Kirche gehen?«
»Ich habe nichts anderes.«
Meine Mutter seufzte. »Wenn du wirklich noch bleiben willst, solltest du deine Sachen aus Berlin kommen lassen. Vielleicht kann dein Freund sie mitbringen, wenn er dich mal besuchen kommt.«
» Wenn «, murmelte ich nur.
Die Kirche war wie immer nur recht spärlich besucht. Die üblichen frommen Senioren hatten sich strategisch im Raum verteilt, vielleicht um dem Pfarrer das Gefühl von Menge zu vermitteln, ein paar Konfirmanden lümmelten sich in den Stuhlreihen, und die Hagens waren komplett angetreten, um ihrem Familienoberhaupt beim Dirigieren des Kirchenchores zuzusehen. Außerdem spielte Christel die Orgel, mehr schlecht als recht, aber dafür umsonst. Die Kirche war fest in Hagen’scher Hand.
Rüdiger Hagen zwinkerte mir zu und fragte, ob ich die Katze in die Mülltonne geworfen habe.
»Komm schon, mir kannst du’s doch sagen, ich verpetze dich schon nicht bei den Behörden«, sagte er und stieß mich kameradschaftlich in die Rippen.
»Die Katze liegt auf dem Kreistierfriedhof«, antwortete ich. »Ich habe ein Einzelgrab geordert, auf dem Grabstein steht nur: Unsere geliebte Katze , und den Blumenschmuck habe ich auch ganz schlicht gehalten. Ich hoffe, das war in eurem Interesse.«
»Hmpf«, machte Rüdiger verblüfft. Sein rundes Gesicht erinnerte mich immer an einen Pudding.
»Die Rechnung wird euch dieser Tage zugestellt«, versuchte ich ihm Angst zu machen.
Rüdiger lachte leider.
»Du bist schon ’ne Marke«, röhrte er und stieß mich wieder in die Rippen. »Kreistierfriedhof! Da muss man erst mal drauf kommen!«
»Keine Angst, da kommen nur richtige Tiere drauf«, sagte ich kühl und setzte mich möglichst weit weg von den Hagens neben Frau Klein, die den Seniorenclub leitete und keinen Gottesdienst versäumte. Ihr Hund kauerte zu ihren Füßen und schaute mich mit seinen Triefaugen freundlich an. Meine Mutter nahm im Chor Aufstellung, wo sich ihre neue Schwarz-weiß-Kluft äußerst vorteilhaft von den Polyacrylblusen ihrer Nachbarinnen abhob. Überhaupt sah sie ziemlich gut aus. Nur Carola Heinzelmann, die heute ihre dunklen Haare offen trug, machte eine noch bessere Figur in schwarzen knallengen Jeans und einer kurzen weißen Leinenbluse.
»Wie geht es denn Ihrer armen Mutter?«, fragte Frau Klein.
»So weit ganz gut«, antwortete ich höflich, aber Frau Klein beugte sich vor und versicherte mir mit bebender Stimme: »Das ist nicht wahr. Elend fühlt sie sich, ganz elend. Und es wird immer nur schlimmer. Seit mein Josephgotthabihnselig nicht mehr ist, geht es mir mit jedem Tag schlechter. Die Einsamkeit … die Einsamkeit wird auch die arme Amelie auffressen.«
»Eigentlich ist sie nicht einsam«, sagte ich. »Sie hat ja mich, und ständig kommt jemand zu
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