Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
konnte meine 38-Hosen nur noch mit äußerstem Kraftaufwand über dem Bauch schließen. Ich ließ die Knöpfe aus diesem Grund meistens auf. Mein Busen hatte alle A-Körbchen meiner BHs entweder zu B-Körbchen ausgedehnt oder zum Platzen gebracht. Vielleicht sollte ich meiner Mutter einen kompletten Garderobentausch vorschlagen.
Gemäß der Broschüre Gesund essen für Ihr Baby kaufte ich überwiegend Obst, Gemüse und Milchprodukte ein, verzichtete auf rohen Schinken und meine geliebte Cola light. Stattdessen machte ich mir jeden Morgen eine riesige Kanne Kräutertee, der angeblich helfen sollte, die Schwangerschaftsübelkeit zu bekämpfen. Bis jetzt hatten mich die Übelkeitsanfälle in eher unregelmäßigen Abständen überfallen, und ich wünschtemir durchaus etwas mehr Regel in diesem Chaos. Solange mich die Kotzattacken zu Hause überfielen, gelang es mir meistens rechtzeitig, zur Toilette zu rennen, aber wenn ich unterwegs war, wurde es unangenehm. Ich hatte mich schon in Papierkörbe übergeben, in Blumenrabatten und auf die Motorhaube meines Autos.
Nur einmal hatte meine Mutter etwas davon mitbekommen und gesagt: »Das ist sicher diese Magen-Darm-Grippe, die im Augenblick kursiert. Geh besser mal zu Doktor Sonntag. Und komm mir nicht zu nah! Ich bin angeschlagen genug.«
»Und ich dachte, du würdest dich über einen kleinen Magen-Darm-Infekt freuen«, hatte ich erwidert. »Was meinst du, wie schnell du dabei drei, vier Kilo verloren hast.«
»Na, auf den Appetit scheint es dir aber nicht zu schlagen«, hatte meine Mutter gekontert und auf meinen Teller gedeutet, wo bereits der dritte Vollkornpfannkuchen mit Sesam und Erbsen (aus der Broschüre für die gesunde Ernährung für werdende Mütter) lag.
Tatsächlich war mein Appetit unvermindert gut. Ich aß nicht nur für zwei, sondern für drei, nämlich auch noch für meine Mutter mit. Allerdings lauter gesunde Sachen. Nur bei den Weihnachtssüßigkeiten konnte ich nicht widerstehen. Nicht mehr lange, und die Marzipankartoffeln und gefüllten Lebkuchen würden Schokoosterhasen und Krokanteiern weichen – da musste man zulangen, solange das Angebot stand.
Am Kühlregal, wo ich die frischen Tortellini und die Waldorfsalate mit Nichtachtung strafte, sah ich Lydia Kalinke, Gilberts Mutter stehen. Heute trug sie die wilderote Mähne zu einer Aufsteckfrisur à la Ivana Trump getürmt, dazu pinkfarbene, knallenge Jeans, Riemchensandalen und eine schwarze, viel zu große Lederjacke. Wenn man sie so ansah, bekam man heftige Sehnsucht nach dem Frühling. Ich überlegte, ob ich zu ihr gehen und mich vorstellen sollte. Guten Tag, ich bin eine Freundin ihres Sohnes, ich helfe ihm, Zigaretten zu verkaufen oder: Ich bin Gilberts Vermieterin, und ich wurde neulich in der Kirche zufällig Zeuge, wie Sie in den Klingelbeutel griffen .
Lydia Kalinke legte ein Paket vom gebeizten Wildlachs in ihren Einkaufswagen. So knapp schien sie dann doch nicht bei Kasse zu sein. Frau Hagen hatte wohl recht mit ihrer Behauptung, Pfarrer Hoffmann habe der Frau nicht nur den geklauten Hunderter überlassen, sondern auch den ganzen Rest der Kollekte.
Mir war wie immer noch übel vom Duft des frisch aufgebrühten Kaffees vom Tchibo-Bäcker im Eingang, und ich wusste, dass ich mich beeilen musste, wenn ich den Einkauf vor meinem täglichen Brechanfall hinter mich bringen wollte. Ich begann, gesunde Äpfel in einen Plastikbeutel zu packen, und beobachtete Lydia Kalinke neugierig aus den Augenwinkeln. Sie kaufte wirklich nur Lebensmittel vom Feinsten. Neben dem gebeizten Wildlachs lagen bereits Ananas, eine Flasche Dom Perignon und teuer aussehender Weinbrand. Und ein ganzer Beutel frischer Feigen, die derzeit mit Gold aufgewogen wurden. Jetzt landeten noch Riesengarnelen und ein Päckchen kanadischer Wildreis in ihrem Einkaufswagen. Wenn mir nicht so übel gewesen wäre, hätte ich mich gern bei ihr zum Essen eingeladen. Leichtsinnig packte ich mir auch zwei frische Feigen in eine Plastiktüte.
Das heißt, ich wollte es tun, aber mein Frühstück – zwei Vollkorntoast mit Frischkäse und Tomaten – wählte ausgerechnet diesen Augenblick, um sich einen Weg nach draußen zu suchen. Es kam so überraschend und vor allem blitzschnell, dass mir nichts anderes übrigblieb, als die Gemüsetüte in eine Kotztüte umzuwandeln. Statt der Feigen landete mein Frühstück darin.
»Scheiße«, sagte ich, als es vorbei war, und sah mich peinlich berührt um. Ich hatte Glück im Unglück. Vor dem
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