Ehemänner
Gesicht bekommen. Nie hatte sie die Zeit, die Kraft, das Geld oder auch nur den Wunsch gehabt, in einen Bus zu steigen und sich auf den Weg in die große Stadt zu begeben, von der sie nur rund zwei Stunden und knapp dreißig Kilometer trennten.
Seit ihr Mann ohne ihre Erlaubnis begonnen hatte, in sie einzudringen, hatte sie am laufenden Band Kinder zur Welt gebracht. Sie hatte zwischen ihren Schwangerschaften gelebt wie jemand, der von Stein zu Stein springt, um über den Fluss zu gelangen. Kaum war ein Kind dem Krabbelalter entwachsen, trug sie auch schon das nächste unter dem Herzen, wie im Mittelalter, obwohl sie gegen Ende des 20. Jahrhunderts lebten.
Señora Fez maß nur ein Meter fünfundvierzig; selbst verglichen mit der durchschnittlichen Größe der Mexikanerinnen war sie eine kleine Frau. Als sie ihren Mann kennen lernte, war sie erst siebzehn, mit einem dicken schwarzen Zopf, der ihr über den Rücken baumelte, einem staunenden Mund und demselben vor lauter Nichtsehen einfältigen Blick unter den Brauen wie in dem Moment, als man ihr die Nachricht überbrachte, Señor Fez habe ganz in der Nähe, in dem vorletzten Wirtshaus, das er für gewöhnlich auf seinem Heimweg aufsuchte, sein Leben ausgehaucht.
Ihr tat es für ihn leid, dass er den nächsten Morgen nicht mehr sehen würde, ebenso wenig wie die Bäume, wenn sie im März blühten, oder die fertige Straße, die von der Regierung ja irgendwann asphaltiert werden musste. Nicht ganz so sicher war sie sich, ob sie ihn wegen ihrer neun Kinder betrauern sollte, derer sie einmal elf gehabt hatten, bis zu jenem frostigen Tag, an dem ihnen zwei unbemerkt erfroren waren – sie wussten nicht mal, zu welcher Stunde. Unschlüssig war sie sich auch, ob sie seine Saufkumpane bedauern sollte, mit denen er jedes Wochenende bis spät in den Abend hinein einen Zuckerrohrschnaps in sich hineingeschüttet hatte, der mit dem ersten Schluck gleich jegliche Vernunft ausschaltete. Seine Kumpane würden vielleicht seine Scherze vermissen, aber in seinem Haus, wenn man es überhaupt so nennen konnte, hinterließ er nur ein leeres Bett, ohne seine üblichen Flegeleien und seine lärmenden Schlafgeräusche.
In sich zusammengesunken, mit auf der Brust hängendem Kopf, war Señor Fez zu Boden gefallen, die Flasche in der Hand und ein »Dominga« auf den Lippen. Das behauptete zumindest sein engster Saufbruder, mit dem er bis zum Anbruch der Nacht versumpft war:
»Sie wissen ja, Dominguita, er hat Ihren Namen immer im Munde geführt.«
»Etwas hat er mir wohl auftragen wollen«, dachte Señora Fez ruhig, da sie ja nicht dabei gewesen war und es also nicht hatte hören können. Ruhig, zum ersten Mal in fünfundzwanzig Jahren.
»Meine Pflicht ist erfüllt«, sagte sie sich, als sie von der Beerdigung heimkehrte.
Sie war nicht traurig; ja hielt es nicht einmal für nötig, so zu tun, als wäre sie es. Jemand fragte sie, ob sie wolle, dass man ihr den Fernseher einschalte, und zur Verblüffung aller entgegnete sie, sie sehe nicht gerne fern. Bis dahin hatte sie immer nur geguckt, um sich sagen zu können, dass ihr Leben nicht so schlimm sei wie die Telenovelas, doch jetzt war sie auf einmal mit allem zufrieden, selbst mit dem Topf voller Maiskolben, den sie an dem Nachmittag nicht hatte verkaufen können. Sie betrachtete ihn erst mit einer gewissen Nachsicht, dann sogar voller Dankbarkeit. Ohne ihren Maistopf hätte es nicht einmal für die Beerdigung ihres Mannes gereicht.
Nach der Beerdigung fragte sie einer ihrer Schwäger, denen Señor Fez erfolgreich weisgemacht hatte, nur dank seiner hätten sie genug zu essen, wie es mit ihr und ihren Kinder in den nächsten Wochen weitergehen würde. Was aus ihnen werden solle, wo sie nicht einmal genau wisse, in welcher Straße ihr Haus stehe?
»Das kann man alles lernen«, sagte Dominga, während sie sich die Schürze umband, um den Topf aufs Feuer zu setzen.
Am nächsten Morgen lief sie die Calle Juárez hinter sich, überquerte die Avenida Cien und stellte sich an die Haltestelle der Sammeltaxis, die zur Metrostation fahren.
Aus ihren Augen blitzte die Neugier auf die Welt. Ihr klang noch die Stimme ihres Mannes in den Ohren, nachdrücklich, wie sie in den lichten Momenten gewesen war, in denen er sie brauchte: »Keine Sorge, tot bin ich mehr wert als lebendig.«
Das wusste sie schon seit Jahren, denn seit Jahren pflegten er oder sein Kumpan, je nachdem, wer von beiden in die alte Leier verfiel, zum jeweils anderen zu sagen:
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