Ehemänner
halb vier. Beide machten sich hastig auf den Weg, jeder zu seiner Verabredung.
»Wer hätte es besser fügen können«, murmelte sie so glücklich, wie sie es schon lange nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Erst da fiel ihr Valeria ein, die zwanzig Meter weiter seit einer Stunde auf einer Restaurantterrasse mit Blick auf den großen Tempel und die Fahne auf sie wartete. Sie beschleunigte ihren Schritt, ohne zu rennen, da sie in letzter Zeit allzu leicht stolperte, und sei es über sich selbst.
Jenseits des Platzes sah sie ihre Freundin mit dem Rücken zur Tür sitzen. Sie kannten sich seit ihrem ersten Studienjahr.
»Entschuldige«, sagte Elena. »Mir ist ein ungelöstes Problem über den Weg gelaufen, das ich nicht einmal als Problem wahrgenommen hatte.«
»Hier am Zócalo?«
»Ja, wie durch ein Wunder.«
»Jetzt fehlte nur noch, dass du dich neu verliebst. Als reichte dir nicht, was du sonst so ausheckst.«
»Du wirst nicht glauben, wer. Nenn mir fünf Namen.«
»Ich gebe mich geschlagen.«
Elena sagte seinen Namen.
»Nicht möglich«, staunte Valeria.
Sie steckten die Köpfe zusammen, bis der rötliche Abend hereinbrach. Als sie ihren Tisch verließen und auf den Bürgersteig vor der Kathedrale traten, war es bereits dunkel.
»Manche behaupten ja, diese Stadt sei scheußlich, aber ich empfinde sie als wunderschön«, sagte Valeria.
»Ich auch«, sagte Elena.
Sie setzte Valeria in Coyoacán ab und folgte auf der Heimfahrt ihren wirren Gedanken, während Musik ihren Geländewagen erfüllte, den sie in der Stadt benutzte.
Sie fühlte sich wohl in ihrer Zeit. Es gab nur wenige, die zugeben wollten, wie sehr sie das ausklingende Jahrhundert genossen. Sie hingegen, die allem nachtrauerte, selbst Dingen, die sie nie gehabt oder erlebt hatte, sei es der Balkon von Romeo und Julia oder ein Sonnenaufgang vor hundert Jahren, konnte nicht anders als dankbar sein für die Jahre, in denen sie lebte. Obwohl sie genau wusste, welche Grausamkeiten auf diesem Jahrhundert lasteten, fand sie doch, dass es auch seine Glanzpunkte besaß und dass es jemanden geben musste, der diese würdigte.
Immerhin hatte das Ende des 20. Jahrhunderts der Menschheit ein kleines Gerät für das Cockpit beschert, das einer flachen Scheibe die Stimmen von Gardel, Joaquín Sabina oder Maria Callas entlockte. Dieses unrühmliche Jahrhundert hatte ihr überdies die magenverträgliche Schmerztablette an die Hand gegeben, die sie von der Migräne befreite, unter der so viele ihrer Vorfahren gelitten hatten. Es hatte ihr die sexuelle Befreiung geschenkt, für die unzählige Frauen auf dem Scheiterhaufen gestorben waren, und es hatte die Entfernung zum Meer auf eine halbe Stunde Flugzeit verkürzt. Das Meer, in dem ihre Großmutter nie hatte baden können. Das Meer, in das man nackt eintauchen konnte. Und die Verhütungsmittel, um sich einen Stern vom Himmel zu holen, ohne fürchten zu müssen, dass man neun Monate später ein Kind zur Welt brachte.
Momentan mochte sie ihr Jahrhundert, und es gefiel ihr, dass sie, während sie dem allseits gefürchteten Jahr 2000 entgegenging, in den Knien und im Herzen die Lust verspürte, sich neu zu verlieben.
Jetzt mit Ende vierzig war ihr Körper noch immer von dem gleichen Verlangen erfüllt wie mit zwanzig. Tagtäglich fragte sie sich, was sie bloß mit sich und ihren unziemlichen Gelüsten anfangen solle, mit den Begierden, die Sonne auf ihrem Körper zu spüren, sich die Beine von einer Welle benetzen zu lassen, die schmiegsame Haut eines Mannes auf der ihren zu fühlen, einfach so.
Sie befand sich in dem Alter, wo man sich keinen Illusionen mehr hingibt, das war nun mal nicht zu ändern. Und doch verlangte es sie nach dem Unmöglichen, sehnte sie sich ihre Jugendjahre zurück, als ihre Haut noch keinerlei Furcht vor Kränkung gekannt hatte und alles hatte Erinnerungen wecken und die Begierde derart schüren können, dass sie, wenn sie ihr entgegengeeilt war, nur die Angst geplagt hatte, sie nicht zu finden.
Jetzt auf einmal sehnte sie sich nach ihrer einstigen Unbesonnenheit zurück, von der Erkenntnis erfüllt, dass sie allein ihrem Körper und den ihm innewohnenden Sehnsüchten zu Treue verpflichtet war. Sie wünschte sich ihre Taille mit siebzehn, ihre Schenkel mit neunzehn und ihre zügellose Vagina mit dreiundzwanzig. Es verlangte sie nach einem Liebsten, was illusorisch war und in ihrem Alter verpönt, so wie die Dinge standen und nachdem ihr Leben nun einmal diese Richtung genommen
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