Ehen in Philippsburg
herumquälte), der zu den entferntesten Stiftungsfesten fuhr, um sich von den ehemaligen Kommilitonen bestätigen zu lassen, daß er sich am besten gehalten habe. Nein Torberg konnte er nicht anrufen, der war zu eigensinnig, zu rechthaberisch, er war ein Kind geblieben, das immer nur von sich selbst redet.
Und Kinsky, der für Volkstum schwärmte und alle seine Anzüge mit Trachtenrequisiten verzierte, kleine Hörner und Geweihe an der Krawatte trug, Knöpfe nur aus Hirschhorn und, wo es möglich war, aus grünem Stoff geschnittene Eichenblätter, und an jeder Hose zwei grüne Streifen. Ein Sehnsüchtler und Waldgieriger, Almen als Orte natürlichen Lebens verehrend, der naiv-robuste Frauenarzt, wie er im Buche steht, der seinen Patientinnen, wenn sie über Durst klagten und nicht trinken durften, seine eigenen Kriegserlebnisse aus der Sahara erzählte, der jede Patientin schon unter der Tür damit beruhigte, daß er weder Staatsanwalt noch Pfarrer sei, so den Sonderbereich der Medizin moralisch ausklammernd. Nein Kinsky war zu einfältig, er würde sich wichtig machen, wenn man ihn einschaltete, würde alle Einzelheiten am Akademikerstammtisch weitererzählen, glücklich darüber, daß er endlich etwas hatte, womit er Eindruck machen konnte. Blieb nur noch Rennert, der Unverheiratete, mit dem keiner der Kollegen, auch Benrath selbst nicht, mehr als das Nötigste sprach. Der einzige der im »Elisabethenhaus« arbeitenden Ärzte, der sich noch der Forschung widmete: er hatte sich ein histologisches Labor eingerichtet, Geld hatte er ja als der Sohn einer alteingesessenen Familie. Wahrscheinlich war Rennert homosexuell. Die Oberhebamme der Klinik, die Gräfin Tilli Bergenreuth, hatte sich bei Benrath über den stillen Rennert ausgeklagt. Er sei ein Feigling, hatte sie gesagt. Fünfzehn Jahre arbeite sie mit ihm zusammen, anfangs habe sie gedacht, er werde sie heiraten, aber nicht einmal geschlafen habe er mit ihr. Tilli von Bergenreuth war eine knochige Expertin, die kein Blatt vor den Mund nahm. Hatte sie schon keinen Mann bekommen, so wollte sie denen wenigstens ihre Meinung sagen. Dem kleinen Rennert habe man auf der Universität ein völlig verrücktes Frauenbild eingepflanzt. Seitdem laufe er herum, um die unverstandene, vom Mann enttäuschte »frouwe« zu entdecken und ihr mit seiner kraftlosen Medizin zu dienen. Das habe ihm der Professor Balduin Mozart, der auch so ein komischer Heiliger gewesen sein müsse, eingeredet; bei dem habe er studiert, der habe ihn wahrscheinlich auf dem Gewissen. Dieser senex loquens, wenn sie den noch in die Finger kriegen könnte, dem würde sie sein Frauenidol austreiben. Aber den guten Rennert, den habe der völlig geliefert. Ein anständiger Arzt sei er ja, kein solches Ferkel wie der… na sie nenne lieber keine Namen, aber manchmal wisse sie nicht, ob ihr nicht doch ein Ferkel lieber wäre als so ein lendenlahmer Medizinapostel.
Benrath entschied sich für Rennert. Vielleicht verstand der ihn am besten. Noch mehr würde er wahrscheinlich Birgas Entschluß verstehen. Rennert antwortete, nachdem ihm Benrath mitgeteilt hatte, was vorgefallen war und um was er ihn bitte, nicht sofort, dann sagte er: »Natürlich, ich verstehe.«
Benrath nahm ein starkes Schlafmittel und legte sich in das Hotelbett, das er angenehm empfand, weil die Decke überaus weiß und leicht war, und weil das Zimmer, in dem es stand, keinerlei menschliche Spuren aufwies. Es gab hier nur Gebrauchsgegenstände, und die waren von klinischer Beschaffenheit. Wären nicht da und dort Anzeichen eines bestimmten Stils sichtbar gewesen, man hätte denken können, der Zeit völlig entgangen zu sein. Auf jeden Fall gab es keinen Ort, der einen so von aller Wirklichkeit trennen konnte, von jener Wirklichkeit, in der man Gegenstände und Menschen mit Namen benannte und sorgfältig darauf achtete, daß sie sich ihrem Namen entsprechend benahmen. Er wünschte sich eine Zigarette ohne Markenbezeichnung, eine weiße, namenlose Zigarette, die an nichts erinnerte. Über diesem Wunsch schlief er ein. Am nächsten Morgen stellte er fest, daß die Straßenbahn, die unten vorbeikreischte, in seinen Träumen eine Rolle gespielt hatte. Auch das Geflacker der Lichtreklame mußte sich eingemischt haben, denn ihm war die ganze Stadt als eine riesige Schmiede erschienen, in der alles der Bearbeitung unterlag, in der es keinen Unterschied mehr gab zwischen Werkstück und Schmied, alles war zugleich Werkstück und Schmied, jeder
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