Eheroman (German Edition)
sie ihm die Kinder dalassen. Er kann schlecht verlangen, dass sie auch noch die Kinder zum Bierkaufen mitnimmt. Dann sitzt er hier und hat die Kroaten und die Kinder.
Er zuckt mit den Schultern. «Ava, die bleiben sicher heute Nacht hier.»
«Klar», sagt Ava, «das habe ich mir gedacht. Wo sollen sie sonst bleiben? Sie haben kein Geld. Das sind Studenten, sie haben kein Geld und sind außerdem deine Verwandten, Danilo, natürlich bleiben sie hier.»
«Einer ist mein Verwandter. Und die erwarten außerdem, dass wir die hier bewirten», sagt Danilo, «das ist so bei den Kroaten.»
«Bei den Deutschen ist das auch so, wenn Besuch kommt», sagt Ava, «bei mir jedenfalls.»
Und als Danilo sein Portemonnaie einsteckt und eine leere Kiste Bier aus der Kammer hebt, sagt sie: «Freu dich doch. Du hast jetzt einen Verwandten.»
Danilo seufzt und geht mit der Kiste Bier in der Hand über den Flur ins Wohnzimmer. Er spricht ein paar Worte, dann springen die Jungen auf, und alle verlassen die Wohnung.
Merve und Martin stehen im Kinderzimmer hinter der geschlossenen Tür, sie kann es durch die Milchglasscheibe sehen, sie öffnen sie, als sich die Wohnungstür schließt.
«Was sagen die?», fragt Merve.
«Ich weiß es nicht», sagt Ava.
«Sagen die ausländische Wörter?»
«Ja, sie reden Kroatisch.»
«Sagt Papa auch kroatische Wörter?»
«Ja.»
«Warum?»
«Weil Papa auch Kroate ist und weil seine Mama Kroatin ist und immer mit ihm Kroatisch gesprochen hat, als er klein war. Und der eine Mann ist sein Cousin. So wie Jonathan dein Cousin ist.»
Merve starrt und öffnet den Mund. Dann sagt sie: «Aber Papa kennt gar nicht seinen Cousin.»
Ava schüttelt den Kopf. «Er kennt ihn nicht. Er hat ihn noch nie gesehen.»
«Warum nicht?»
«Er kennt seine ganzen Verwandten nicht.»
«Warum nicht?»
«Sie sind weit weg, in Kroatien, in einem anderen Land, und da war Krieg, und dann haben sie sich aus den Augen verloren, glaube ich. Also eigentlich ist Papa da nie gewesen, in Kroatien. Es sind nur seine Verwandten eben. Und er ist von hier. Ich weiß es auch nicht so genau.»
Sie zieht Martin ins Badezimmer, wischt ihm seinen kleinen, schmutzigen Mund ab, wäscht ihm die vom Im-Sand-Spielen schwarzen Händchen und stopft ihn in der Küche in sein zu klein gewordenes Stühlchen. Sie schneidet Brot ab und unterhält sich mit den Kindern, während sie ihnen ruhig eine Scheibe nach der anderen mit Wunschwurst und Wunschkäse belegt, zerschneidet und auf die Teller legt. Sie schmiert sich selbst ein Brot, kaut und denkt darüber nach, ob sie die Kinder heute baden soll oder nicht. Schmutzig sind sie. Schmutzig sind sie im Moment immer. Sie spielen jeden Tag draußen mit Wasser und Sand. Aber sie ist so müde und erschöpft. Gleich werden vier Männer in ihrem Wohnzimmer Bier trinken, sie wird selbst ein Glas trinken und kein Wort verstehen. Sie wird ins Bett gehen und schlecht schlafen, weil es laut sein wird. Sie seufzt und räumt den Tisch ab. Immer denkt sie schon so. Immer ist sie von vornherein so angeklatscht. Sie findet es selbst nicht schön. Aber die Anstrengung macht das. Sie lässt etwas Wasser in die Badewanne, als sich im Flur die Tür öffnet und Bierflaschen klirren.
Während sie Martin das T-Shirt über den Kopf zieht, ihn dann auf der Waschmaschine auf ein Handtuch legt, um ihm den Po zu reinigen, muss sie darüber nachdenken, dass Danilo keine Familie hatte außer seiner Mutter, und dass sich die Abwesenheit von Josip Androsevich als ein Mangel, als eine dauerhafte Wunde in sein und seiner Mutters Leben gefressen haben musste. Das, was er hier hat, in seinem Zuhause, wo seine Kinder wohnen und seine Frau sich kümmert, wo sogar die Familie sich jetzt plötzlich in neuen Teilen zusammenfügt, hier meint Danilo etwas in Ordnung bringen zu können. Hier denkt er sich etwas Gesundes, Unzerstörbares, eine von ihm selbst geschaffene Form von Heilung. Und ihr wird klar, warum Danilo sie nie verlassen wollte, warum er das alles nie in Frage gestellt hat.
Beate bestellt den zweiten Gin-Tonic und zieht den grauen Rock über ihren glitzerglänzenden Knien länger, aber der Rock lässt sich nicht länger ziehen. Ava sitzt ihr gegenüber, Beates verheirateter Barmann steht hinter der Theke und putzt ein Glas und füllt es dann mit klirrendem Eis und Gin und Tonicwasser. Er heißt Fred. Er ist tatsächlich etwas dicklich, wie Hartwig sagte, aber vor allem ist er groß und kräftig, das Dickliche ist nur eine
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