Eheroman (German Edition)
Ava hin und her und kann nicht schlafen. In ihr ist eine Unruhe, ein Kribbeln in den Beinen und ein Fließen und Strömen von Blut, verstärkt durch einige Gin-Tonics, dass ihr schwindlig wird.
Sie steht auf, um sich in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Beate kommt aus ihrem Schlafzimmer, steht im Kücheneingang, einen karierten kurzen Schlafanzug am Körper, gerade, braune Beine, nackte Füße, rosa Zehen. An den Oberschenkeln dellt sich das Fleisch, aber nur leicht, ganz leicht. «Kannst du nicht schlafen?»
«Nein», sagt Ava, «draußen ist es laut. Und der Mond so hell. Und ich bin besoffen, ich kann nicht schlafen, wenn ich besoffen bin.»
«Mach das Fenster zu, dann ist es leise.»
Beate folgt ihr ins Wohnzimmer und setzt sich auf den Rand des Sofas, auf das weiße Bettzeug. Ava kriecht unter die dünne, bezogene Decke. Es ist Sommer und warm, aber sie fröstelt.
«Fehlt dir Fred jetzt gerade?», fragt sie Beate.
Beate nickt. «Wenn ich so weitermache, dann ende ich irgendwann als alte Jungfer.»
«Als alte Jungfer wohl kaum», sagt Ava.
«Als alte Nutte dann.»
«Ja? Dann steigst du aber spät ins Geschäft ein. Das ist nicht gerade vorteilhaft.»
Beate schüttelt den Kopf. Sie lächelt nicht mal. Sie steht von der Bettdecke auf, lüftet sie ein wenig und kriecht dann unter eine Ecke. Ihre Zehen schauen heraus, wie eine Reihe rosa Perlen.
«Nichts ist vorteilhaft, wenn man älter wird», sagt sie. «Fehlt dir Danilo auch?»
Der Schlag sitzt. Dass Beate am späten Abend noch so gemein sein kann. Am frühen Morgen eigentlich. Draußen flötet schon ein verirrtes Vöglein, und erste feine Straßengeräusche von der großen Straße fädeln sich in den blassen Morgen.
«Danilo? Ja, mir fehlt vor allem, wie er schläft, mit offenem Mund, und röchelnd. So …» Sie röchelt.
Beate kichert. Sie kriecht dichter an Ava ran, sie streckt sich lang aus und starrt an die Decke. Sie schweigt eine Weile. Dann sagt sie: «Weißt du noch, Ava, wie wir im Krankenhaus angefangen haben? Weißt du noch, wie klein wir waren und dumm und nichts wussten?»
Ava nickt stumm. Sie erinnert sich. An die langen, glänzenden Gänge des Krankenhauses, an Hartwig, wie er müde rauchend auf den Bänken am Eingang saß, an ihren Freund, den Assiarzt Andreas Balzer, an ihr grünes Zimmer bei den Schultetees und das dicke Fahrrad, auf dem sie an schönen Tagen frühmorgens ins Krankenhaus radelte.
«Und jetzt bin ich immer noch so», sagt Beate, «immer noch gleich dumm.»
Andreas Balzer war ein unreifer, feiger Mann gewesen, überlegt Ava. Sie hatte sich in eine Regung von ihm verliebt. Sehr wenig hatte damals ausgereicht, um sich in ihn zu verlieben, ein verlorener Blick aus seinem blassen, sommersprossigen Gesicht, eine Unentschlossenheit, eine Geste von Mitgefühl gegenüber einer kranken Frau, ein Moment der Ehrlichkeit ihr gegenüber, schon war ihr Herz weich geworden, schon hatte sie einen Seelenverwandten in ihm gesehen. Würde ihr das so noch einmal passieren? Wahrscheinlich, ja. Wahrscheinlich hat Beate recht.
«Das Schlimme ist, dass man es jetzt alles weiß, wie es ist, und macht es trotzdem», sagt Beate.
«Hartwig sagt, du sollst nach Hamburg kommen», sagt Ava, «Hartwig Endres Häusliche Pflege kann dich gut gebrauchen.»
Als wäre das die Antwort.
«Die Welt kann mich gebrauchen», sagt Beate in die Nacht, als ob sie singt. «Ich bin komplett am Ende. Ich kotze morgen, Ava. Ich wette, ich kotze.»
«Das ist sowieso besser», sagt Ava.
«Das sage ich auch.» Beate gähnt.
Ava schließt die Augen. Sie glaubt, dass sie sich keinen Millimeter mehr zu bewegen braucht. So wie sie liegt, wird sie einschlafen und aufwachen, das ist auch besser, da Beate neben ihr liegt und gar kein Platz mehr zum Bewegen ist, wenn sie nicht verschwindet.
Gegen Mittag, als sie erwacht, liegt das Zimmer im Schatten, draußen knallige Sonne, im Zimmer dumpfe, alte Luft. Sie steht vorsichtig auf und öffnet weit das Fenster. Straßenverkehr und Kinder, die sich Sachen zuschreien. Es ist bereits heiß, es ist draußen wärmer als drinnen und auch nicht frischer.
Beates verzottelte Haare, wie die einer ungekämmten Puppe, schieben sich unter der Decke hervor. Sie streckt sich. Sie gähnt. «Ich glaub, ich mach das», sagt sie.
«Was?»
«Ich komm nach Hamburg. Raus hier aus dem Dorf. Raus aus dem Krankenhaus. Raus aus Fredi.» Sie steht auf, streicht ihr wildes Haar glatt, eine unsinnige Geste, tapst in die Küche und setzt
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