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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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sie auf den Arm nehmen. Sie ist noch klein. Sie hat die Seiten nur abgerissen, weil die erste Seite versehentlich abriss. Sie tut ihr so leid. Und nun verschwindet auch noch ihre liebe Mama still und heimlich auf eine Party. Ava kann es kaum ertragen. «Danilo, sie schreit doch.»
    «Ich höre es. Denkst du, ich komme nicht mit ihr klar?»
    «Doch. Nur …»
    «Dann bleib doch besser hier, wenn du mich nicht mit ihr allein lassen willst. Das musst du schon wissen, Ava, ob ich das kann oder nicht. Du musst schon wissen, ob du sie mir anvertraust oder nicht.»
    «Ich vertrau sie dir ja an», schreit Ava. Sie nimmt ihren Mantel vom Haken, schlüpft in ihre Stiefel, hängt sich ihre alte kleine Handtasche über und verschwindet nach draußen. Selbst im Treppenhaus hört sie Merve noch schreien, selbst unten im Erdgeschoss hört sie sie noch schreien. Es regnet leicht, und sie rennt fast, weil sie viel zu spät dran ist. Sie weint ein bisschen im feuchten Regen. Sie denkt, es fällt nicht auf, wenn ich weine, denn es regnet ja. Die kühle, feuchte Luft tut ihr gut. Das Weinen tut ihr gut. Merve tut ihr so leid. Sie sieht sie weinend in ihrem Bett sitzen, der Buchzerreißfreude beraubt und, was noch schlimmer ist, der Mutter beraubt. Ava schluchzt heftig, während sie zur Bahn stolpert. Dann muss sie plötzlich auch lachen, weil sie so doof ist. Sie bleibt stehen, schnieft und holt Luft, sie nimmt ein Taschentuch aus ihrer Tasche und wischt sich sorgfältig das Gesicht ab. Dann fällt ihr ein, dass Danilo ihr nicht viel Spaß gewünscht hat. Sie wünscht ihm immer viel Spaß, auch wenn sie es nicht so meint. Meistens meint sie es nicht so, weil sie am Ende ja deshalb immer allein zu Hause sitzt. Wenn sie etwas vorhat, wenn sie zum Beispiel zu Merve fährt oder wenn Beate zu Besuch ist, dann ist es ihr egal, wohin Danilo unterwegs ist. Nur wenn sie allein ist, dann gönnt sie ihm nichts.
    Die Party findet in einem alten, großen Haus in der Hein-Hoyer-Straße statt. Sie bleibt vor dem Haus stehen und versucht sich zu erinnern, wie der Name war, über dem sie klingeln sollte. Soll sie alle Klingeln drücken? Soll sie eine Weile darauf warten, dass Merve kommt, falls sie sich auch so verspätet haben sollte? Aber was ist, wenn Merve längst da ist? Ava steht im Regen, in ihren Mantel gehüllt, die Hände in den Taschen, fest an die Eingangstür gedrückt, unter dem kaum geschützten Vorsprung, und kann sich immer weniger zu einer Handlung durchringen. Insgeheim fürchtet sie sich davor, eine Party mit völlig fremden Menschen zu besuchen, eine Party, auf die sie noch nicht einmal eingeladen worden ist. Warum hat sie sich überhaupt dazu überreden lassen?
    Zwei Männer treten auf die Klingeln zu, sie weicht zur Seite. «Willst du auch zur Party?», fragt ein blasser, schlanker Mann mit einer blauen Wollmütze auf dem Kopf.
    «Ja», sagt Ava.
    «Wartest du noch auf jemanden oder wie?», fragt er und klingelt.
    «Nein. Ich wusste nur gar nicht, wo ich klingeln sollte», sagt Ava. «Ich hab den Namen vergessen.»
    Der Blasse kichert. «Norman», sagt er, «kennst du Norman nicht? Norman Foreman, Superman?»
    «Meine Freundin kennt ihn. Sie ist schon da, glaube ich.»
    Sie stiefeln die Treppen hoch, sämtliche Treppen, bis nach ganz oben, alte, abgetretene Treppenstufen, sehr staubig, Ava spürt den knirschenden Sand unter ihren Stiefeln, und schon von unten hört sie laut wummernde Musik. Sie ist froh, dass sie nicht allein, sondern nun als Anhang von den patenten, sich bestens mit Norman Foreman Superman auskennenden Männern erscheint. Oben ist es noch lauter, und alles ist in rötliches Licht getaucht. Es ist eine große Party. Viele Leute drängen sich in den Räumen, und es wird getanzt. Ava sieht sich nach Merve um, während sie den Männern folgt, um Norman zu finden, denn wenngleich sie ihn nicht kennt, scheint es ihr doch richtig, ihm wenigstens zu gratulieren. Sie wickelt eine Flasche Sekt aus und stellt sich hinter die beiden Männer bei dem gefundenen Norman in der Küche an. Sie reicht Norman die Flasche mit den Worten: «Alles Gute zum Geburtstag! Ich bin Ava, die Freundin von Merve.» Norman ist ein schwarzhaariger, kleiner Mann mit sehr schmalen, fast geschlossenen Augen. Ava ist ein bisschen zitterig bei dem allem. Sie fügt hinzu: «Sie hat mich mitgebracht, ich hoffe, es ist in Ordnung?»
    Norman Foreman Superman grinst. «Frauen immer, wenn sie so sind.» Dann schüttelt er heftig den Kopf. «Nein. Männer

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