Ehrensache
mal im Fernsehen gesehen...«
Rab Kinnoul. Rebus beschrieb ihn kurz.
»Klingt ziemlich richtig«, räumte sie ein.
»Und die Männer, die bei ihm waren?«
»Auf die hab ich kaum geachtet. Einer war so ein schüchterner Typ, lang und dünn wie eine
Bohnenstange. Der andere war fett und hatte eine Lederjacke an.«
»Sie haben nicht zufällig ihre Namen mitbekommen?«
»Nein.«
Doch das spielte keine Rolle. Rebus würde darauf wetten, dass sie sie bei einer Gegenüberstellung
erkannte. Ronald Steele und Barney Byars. Sie hatten in der Stadt einen draufgemacht. Byars,
Steele und Rab Kinnoul. Eine merkwürdige kleine Gesellschaft und weiterer Zündstoff, mit dem er
Steele Dampf machen könnte.
»Trinken Sie aus, Gail«, sagte er. »Dann sehen wir zu, dass Sie in den Zug kommen.«
Doch unterwegs entlockte er ihr noch eine Adresse, dieselbe, die sie vorher angegeben hatte und
die er von George Flight hatte überprüfen lassen.
»Da werd ich wohnen«, sagte sie und schaute sich ein letztes Mal um. Der Zug stand bereits auf
dem Bahnsteig und füllte sich langsam mit Menschen. Rebus hob ihren Koffer durch eine Tür. Sie
stand immer noch da und starrte zum Glasdach des Bahnhofs hinauf. Dann sah sie Rebus an.
»Ich hätte London niemals verlassen dürfen. Vielleicht wär das alles nicht passiert, wenn ich
geblieben wäre, wo ich war.«
Rebus neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Es ist nicht Ihre Schuld, Gail.« Trotzdem wurde er
das Gefühl nicht los, dass sie irgendwie Recht hatte. Wenn sie sich von Edinburgh fern
gehalten, wenn ihr dieses »Ich kenne Gregor Jack« nicht rausgerutscht wäre... wer
weiß? Sie stieg in den Zug, dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
»Wenn Sie Gregor sehen...«, begann sie. Doch dann kam nichts mehr. Sie zuckte die Schultern und
verschwand mit ihrem Koffer und den beiden Taschen. Rebus, der noch nie was für rührselige
Abschiedsszenen mit Prostituierten übrig gehabt hatte, drehte sich auf dem Absatz um und ging zu
seinem Auto zurück.
»Sie haben was?«
»Ich habe ihn gehen lassen.«
»Sie haben Steele gehen lassen?« Rebus konnte es nicht fassen. Er ging auf dem wenigen freien
Raum in Lauderdales Büro auf und ab. »Warum?«
Nun lächelte Lauderdale kühl. »Weswegen hätte ich ihn denn festhalten sollen, John? Seien Sie
doch, um Himmels willen, mal realistisch.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Und?«
»Was er sagte, klang sehr plausibel.«
»Mit anderen Worten, Sie glauben ihm?«
»Ich denke, ja.«
»Und was ist mit seinem Kofferraum?«
»Sie meinen den ganzen Matsch? Das hat er Ihnen doch selbst gesagt, John. Er geht mit Mrs.
Kinnoul spazieren. Diesen Hang da können Sie ja wohl kaum als asphaltiert bezeichnen. Da braucht
man Gummistiefel, und Gummistiefel werden matschig. Dazu sind sie da.«
»Hat er zugegeben, dass er ein Verhältnis mit Cath Kinnoul hat?«
»Er hat nichts dergleichen zugegeben. Er hat bloß gesagt, es gäbe da eine Frau .«
»Das hat er gesagt, als ich ihn hierher gebracht habe. Aber bei sich zu Hause hat er es praktisch
zugegeben.«
»Ich finde es ziemlich nobel von ihm, dass er versucht, sie zu schützen.«
»Könnte es nicht auch sein, dass er weiß, dass sie seine Geschichte nicht bestätigen
könnte?«
»Sie meinen, das ist alles erlogen?«
Rebus seufzte. »Nein, letztlich glaube ich es auch.«
»Also dann.« Lauderdale hörte sich - für Lauderdale - aufrichtig freundlich an. »Setzen Sie sich,
John. Sie haben harte vierundzwanzig Stunden hinter sich.«
Rebus setzte sich. »Ich habe harte vierundzwanzig Jahre hinter mir.«
Lauderdale lächelte. »Tee?«
»Ich glaube, eine Tasse vom Kaffee des Chief Superintendent wäre mir jetzt lieber.«
Lauderdale lachte. »Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Jetzt hören Sie mal, Sie haben
selbst gerade zugegeben, dass Sie Steeles Geschichte glauben...«
»Bis zu einem gewissen Punkt.«
Lauderdale akzeptierte den Vorbehalt. »Trotzdem, der Mann wollte hier raus. Wie, zum Teufel,
hätte ich ihn festhalten sollen?«
»Auf Verdacht hin. Es ist uns gestattet, Verdächtige ein wenig länger festzuhalten als neunzig
Minuten.«
»Danke, Inspector, das ist mir bekannt.«
»Jetzt fährt er also nach Hause und macht seinen Kofferraum gründlich sauber.«
»Ein Paar matschige Gummistiefel reichen nicht, um jemanden zu überführen, John.«
»Sie wären überrascht, was Kriminaltechniker so alles können...«
»Ach ja, das ist auch so eine Sache. Ich hab gehört, dass Sie den Leuten den
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