Ehrensache
Dann öffnete er den
Kühlschrank. »Na, so was«, sagte er und zeigte mit dem Finger. »Da steht ja Milch im
Kühlschrank, sieht auch noch ziemlich frisch aus. Hätte ich ja gar nicht in den Laden zu gehen
brauchen.«
Er stellte die neue Packung Milch neben die bereits vorhandene, knallte die Tür zu und ließ sich
wieder auf der Sofalehne nieder. Kemp bemühte sich krampfhaft, zu grinsen.
»Sie sind ganz schön auf Draht für einen Montag.«
»Wenn es sein muss, krieg ich fast alles mit. Was haben Sie vor dem guten alten Onkel Rebus
versteckt, Chris? Oder brauchten Sie die Zeit nur, um nachzusehen, ob es etwas zu verstecken gab?
Ein bisschen Koks? So was in der Art. Oder vielleicht was völlig anderes? Eine Geschichte, an der
Sie arbeiten... bis spät in die Nacht arbeiten. Etwas, worüber ich Bescheid wissen sollte.
Na, wie sieht's aus?«
»Also bitte, Inspector. Ich bin doch derjenige, der Ihnen einen Gefallen tut, haben Sie
das vergessen?«
»Helfen Sie meinem Gedächtnis nach.«
»Sie wollten, dass ich mich wegen dieser Bordellgeschichte umhöre. Ich sollte rauszukriegen
versuchen, wieso die Sonntagszeitungen davon wussten.«
»Aber Sie haben sich nie mehr bei mir gemeldet, Chris.«
»Ich war ziemlich im Stress.«
»Das sind Sie immer noch. Denken Sie dran, dass Sie um drei eine Verabredung haben. Am besten
sagen Sie mir gleich, was Sie wissen, dann sind Sie mich los.« Rebus rutschte von der Lehne auf
das Sofa herunter. Er konnte die Sprungfedern spüren, die ihn durch den fadenscheinigen
gemusterten Bezug stachen.
»Also«, sagte Kemp und beugte sich in seinem Sessel vor, »es sieht so aus, als wären da
massenhaft heiße Tipps verteilt worden. Alle Zeitungen glaubten, sie bekämen einen
Exklusivbericht. Doch als dann alle aufkreuzten, wussten sie, dass man sie drangekriegt
hatte.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, wenn es eine Geschichte gab, mussten sie sie nun auch bringen. Denn wenn sie es
nicht taten, aber ihre Konkurrenten...«
»Dann würden die Chefredakteure anfangen, Fragen zu stellen, wieso man ihnen zuvorgekommen
sei?«
»Genau. Also, wer auch immer diese Geschichte eingefädelt hatte, konnte sicher sein, dass sie
überall erscheinen würde.«
»Aber wer hat sie eingefädelt?«
Kemp schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand. Es war ein anonymer Hinweis. Ein Anruf an alle
Nachrichtenredaktionen, an dem Donnerstag. Die Polizei wird Freitagnacht eine Razzia in einem
Bordell in Edinburgh machen... hier ist die Adresse... wenn ihr gegen Mitternacht dort seid, habt
ihr mit Sicherheit einen Abgeordneten im Sack.«
»Das hat der Anrufer gesagt?«
»Seine genauen Worte waren angeblich: mindestens ein Abgeordneter wird drinnen sein «
»Aber er hat keine Namen genannt?«
»Das brauchte er nicht. Angehörige des Königshauses, Abgeordnete, Schauspieler und Sänger - wenn
man die Zeitungen auf so eine Fährte lockt, hat man sie gleich am Haken. Das Bild ist vermutlich
ein bisschen schief, aber Sie verstehen, was ich meine.«
»O ja, Chris, ich verstehe, was Sie meinen. Und was schließen Sie daraus?«
»Sieht aus, als hätte jemand Jack fertig machen wollen. Aber denken Sie daran, dass sein Name von
dem Anrufer nicht erwähnt wurde.«
»Trotzdem...«
»Ja, trotzdem.«
Rebus' Gedanken rasten. Wenn er sich nicht auf das Sofa gelümmelt hätte, hätte er behaupten
können, dass seine Gedanken mit ihm davonrasten. Im Grunde debattierte er mit sich selbst. Ob er
Gregor Jack einen riesigen Gefallen tun sollte oder nicht. Dagegen sprach: Er war Jack keinen
Gefallen schuldig; außerdem sollte er versuchen, objektiv zu bleiben - war das nicht das, was
Lauderdale gewollt hatte? Dafür sprach eigentlich nur eines - er würde Jack nicht nur einen
Gefallen tun, er würde vielleicht auch die Ratte aufstöbern, die Jack in die Falle gelockt hatte.
Rebus kam zu einem Entschluss.
»Chris, ich möchte Ihnen etwas erzählen...«
Kemp witterte eine Geschichte. »Darf ich mich auf Sie berufen?«
Doch Rebus schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
»Aber es stimmt?«
»O ja, ich kann Ihnen garantieren, dass es stimmt.«
»Ich höre.«
Letzte Chance, einen Rückzieher zu machen. Nein, er würde keinen Rückzieher machen. »Ich kann
Ihnen sagen, weshalb Gregor Jack in diesem Bordell war.«
»Ja?«
»Aber zuerst möchte ich noch eines wissen - verheimlichen Sie mir irgendetwas?«
Kemp zuckte die Schultern. »Nicht dass ich wüsste.«
Rebus glaubte ihm immer noch nicht. Schließlich hatte Kemp keinen
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