Ehrensachen
Sie öffnete sich sofort.
XXIII
Es war ein Wettlauf zum Grab. Klarer Sieger war mein Vater, dicht gefolgt von Mrs. White, die knapp ein Jahr nach ihm starb. Dann kam Mr. White an die Reihe. Er starb Anfang Januar 1956 an einem Schlaganfall, wie er gefürchtet hatte. Das Begräbnis fand später statt, als es der jüdische Brauch vorschrieb, damit Henry Zeit hatte, aus Fontainebleau zurückzukommen. Unterdessen übernahm Mr. Whites Nachlaßverwalter und Rechtsberater in geschäftlichen Dingen alles Organisatorische. George erzählte mir später, das sei ein Glück gewesen, denn Henry habe völlig desorientiert gewirkt. Ich erhielt das Telegramm mit der Nachricht erst eine Woche nach der Bestattung. Anscheinend hatte niemand meine genaue Adresse in Rom, wo ich in einer Pension in der Nähe der Piazza del Popolo wohnte und meinen zweiten Roman überarbeitete.
Als ich die Revision abgeschlossen und noch einmal überprüft hatte, schickte ich das Manuskript an meinen Agenten, reiste mit Tom Peabody, der ein Forschungsjahr in Florenz verbrachte, durch die Toskana und Umbrien und fuhr dann allein weiter nach Athen, Istanbul und Wien. Ich hatte einer Zeitschrift einen Entwurf zu einem sehr persönlichen Bericht über meine ersten Begegnungen mit diesen Hauptstädten versunkener Reiche geschickt. Er wurde angenommen, und ich konnte komfortabel reisen, ohne mir Sorgen über die Mietkosten für meine New Yorker Wohnung machen zu müssen, die sich summierten, da ich keinen Untermieter hatte. Ich war den ganzen Sommer unterwegs und fuhr mit dem Schiff von Southampton zurück. Als ich in New York landete, war Henry schon in Cambridge, um sein Leben als Jurastudent zu beginnen, und ich sah ihnund George erst an einem Samstag im Oktober wieder; wir trafen uns bei der Verlobungsfeier, die Edies Eltern für sie und George gaben. Als ich nach New York zog, war ich fest entschlossen, mich nicht von der glamourösen Lebensweise der Reichen beeindrucken zu lassen. Wie May Standish gern und oft sagte, gab es in New York zu viele davon. Aber das Brownstone-Doppelhaus der Bowditchs an der 81 st Street und die Renoirs, Monets und Manets an den Wänden in den beiden Salons, dem Eßzimmer und der Bibliothek stellten meinen Entschluß auf eine harte Probe. In Zukunft würde es mir schwerfallen, Edie einfach als eines von vielen netten Radcliffe-Mädchen zu behandeln, ohne an das Vermögen ihrer raubkapitalistischen Vorfahren oder an die außergewöhnliche Sammlerin impressionistischer Malerei, die Mäzenatin des Metropolitan Museum zu denken, die ihre Großmutter sein mußte, wie mir jetzt, da ich zwei und zwei zusammengezählt hatte, sonnenklar war.
Mein frischgebackener kleiner Ruhm war nicht nur für sich genommen erfreulich, sondern in gewisser Weise auch ganz praktisch: Zum Beispiel konnte ich nicht glauben, daß Dr. Kalman meine langen Abwesenheiten ohne diesen Ruhm so friedlich hingenommen, auf Vorschüsse oder Ausgleichszahlungen verzichtet und mir bei meiner Rückkehr bereitwillig einen Behandlungstermin am frühen Morgen eingeräumt hätte. Auf großen Partys wie dem Bowditch-Empfang konnte ich, selbst wenn ich höchstens die Gastgeber und eine Handvoll ihrer Gäste kannte, doch darauf bauen, daß ich auf meinem Weg durch die Menge nur meinen Namen sagen mußte, um sogleich eine Reaktion hervorzurufen, die immer ungefähr gleich klang: »Sie müssen der Romanautor sein, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Ihr Buch habe ich nicht gelesen, aber die Rezensionen, und woran arbeiten Sie jetzt?« Derartige Fragen beantwortete ich je nach dem Ausmaß der Dummheit oder Attraktivität der Fragenden mehr oder weniger freundlich und ging dann weiter. So bahnte ich mir nach ein paar Worten mit Edie und ihren Eltern und mit den Eltern Standish langsam meinen Weg zu Henry. Er war gerade in den Garten gekommen und fragte mich, ob ich in meiner Rolle als Verwandter, Freund und Leibwächter mit George, Edie und den beiden Elternpaaren zum Abendessen gehen würde. Ich lachte und sagte, ich sei nicht eingeladen und hätte auf einen Abend mit ihm gehofft, falls er frei sei. Er mußte sich vor dem Abendessen mit jemandem treffen, aber wir verabredeten uns für neun Uhr in einem Restaurant am Irving Place, in dem man noch spät essen konnte.
Dadurch hatte ich Zeit, mich kurz mit George zu unterhalten. Er hatte im letzten Sommer – einer für Jurastudenten wichtigen Phase, weil Anwaltsfirmen in der Sommerpause zwischen dem zweiten und dritten
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