Ehrensachen
entschlossen, meine Suche nach Henry mit aller Energie bis zu einem möglichst gesicherten Ergebnis fortzusetzen.
Die Hoffnung, Margot zu finden, hatte ich nach vergeblichen Anfragen in ihrer Schule und im Alumni-Büro von Harvard aufgegeben. Jetzt bot das Internet neue Möglichkeiten, Leute ausfindig zu machen. Mein Assistent war ein Fachmann, und ich bat ihn zuerst, nach Henry zu forschen. Als er nichts fand, bat ich ihn, den Suchprozeß zu wiederholen, diesmal sollte er nach Margot unter ihrem Mädchennamen und den Namen ihrer Ehemänner forschen. Noch ein Fehlschlag. Es gebe Leute, die bewußt alle notwendigen Schritte unternahmen, um sich vor Suchmaschinen zu schützen, sagte er. Wieder überschwemmte mich eine Welle der Entmutigung. Dann erinnerte ich mich, daß Henry mir von seiner Versöhnung mit Margot erzählt und erwähnt hatte, daß sie nicht einmal versuchen würde, Radcliffe umzustimmen, um wieder aufgenommen zu werden. Sie wolle ans Sarah Lawrence College gehen, hatte sie ihm damals gesagt. Ich hatte an der falschen Stelle gesucht. Nach weniger als zwei Wochen führte meine briefliche Anfrage – ein Anruf beim College hatte nicht ausgereicht – zum Erfolg: Man gab mir Margots Adresse in Kalifornien. Sie lebte in La Jolla. Das College behauptete, ihre Telefonnummer nicht zu haben. Ich fragte bei der Auskunft nach und erfuhr, daß ihre Nummer nicht im Verzeichnis stand. Daraufhin schrieb ich ihr umgehend, erklärte, wie schwierig es gewesen war, sie zu finden, und fragte, ob sie mich zu Henry leiten könne. Ein paar Wochen später erreichte mich ihre Antwort: Sie wisse nicht recht, ob sie mir helfen könne oder solle. Ob ich je nach Kalifornien käme? Wenn ja, könnten wir uns vielleicht sehen und zusammen überlegen, was zu tun sei. Sie schrieb mir ihre Telefonnummer. Am Tag, an dem der Brief eintraf, rief ich sie an, und eine Woche später fuhr ich mit einem Mietwagen vom Flughafen Los Angeles zu dem Zitronenhain, über dem Margots Haus stand.
Eine wettergegerbte Margot bot mir die Wange zum Kuß. Ihr Mund hatte Runzeln. Sie war alt geworden. Aber ihr Verhalten war wie früher: Sie hatte die Haltung und die Beweglichkeit eines jungen Mädchens. Man servierte uns auf der Terrasse ein spätes Mittagessen. Ich hatte erwartet, daß sie sofort von Henry sprechen würde, aber sie sagte nichts. Ich überlegte mir, daß sie vielleicht zuerst über sich reden wollte. Also bat ich sie, mir von ihrem Leben zu erzählen. So viele Jahre seien vergangen.
Wohl wahr, sagte sie. Dich brauche ich nicht zu fragen,was du so gemacht hast. Darüber hält mich die Presse auf dem laufenden. Immer diese Fotos, all diese Porträts – was für ein Star du geworden bist.
Dann erzählte sie mir, daß Jean sie überrascht habe; als sie ihn verlassen hatte, um mit Steve – dem Filmemacher – nach Kalifornien zu gehen, war sie sicher gewesen, daß ihr ein harter Kampf um das Sorgerecht bevorstand, da die französischen Gerichte in der Regel zugunsten der Väter entscheiden, besonders wenn der Vater Franzose ist und die Mutter nicht. Es habe sich aber gezeigt, daß Jean überhaupt nicht am kleinen Henry interessiert war – wenn nur der Preis stimmte. Sie habe ihm so viel gezahlt, daß ihr Sohn wahrscheinlich das teuerste Kind auf der Welt war. In letzter Zeit habe sie sich gefragt, ob sie nicht zuviel bezahlt habe. Diese Kämpfe, wer das Kind behalten darf, sind ziemlich albern, sagte sie. Ein paar Jahre vergehen, das Kind ist kein Kind mehr, und in sechs von zehn Fällen kümmert es sich aufmerksamer um den Elternteil, der es wenig beachtet oder nicht besonders gut behandelt hat. Darin steckt ein Prinzip der Gerechtigkeit, aber ich habe es nicht herausfiltern können.
Übrigens, fügte sie hinzu, der Preis für Aufmerksamkeit geht an den abwesenden Paten Henry White. Der hat, gleich als mein Henry geboren war, ein Anlagenkonto für ihn eröffnet, und seitdem vergeht kein Geburtstag, ohne daß eine runde Summe auf das Konto überwiesen wird. Aber immer kommt nur Geld, nie ein Wort oder sonst ein Lebenszeichen. Das weiß ich, weil ich meinen Sohn frage.
Also ist Henry am Leben, rief ich aus.
Ach ja, sagte sie, jedenfalls nehme ich das an. Irgendwie denke ich, wenn er gestorben wäre, hätte Henry der Jüngere eine noch substantiellere Summe bekommen. Oder einen Hinweis auf das, was er zu erwarten hatte.
Erklär mir, wie ich ihn finden kann, sagte ich.
Warum? fragte sie. Ich würde sein Geheimnis preisgeben. Das einzige
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