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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Andenken, das ich habe.
    Er war mein bester Freund, erwiderte ich. Wir sind nicht mehr die jüngsten. Ich möchte ihn gern wiedersehen.
    Und dann erzählte ich ihr von den gescheiterten Versuchen, die George und ich in all den Jahren unternommen hatten.
    Sie überlegte einen Moment und sagte, daß sie seine Adresse nicht kenne und nicht versucht habe, sie herauszufinden; immerhin könne sie mir so weit helfen, daß eine einfache Nachforschung mich ans Ziel bringen werde. Aber hast du dich nicht schon genug in Henrys Leben eingemischt? fragte sie dann. Hast du nicht begriffen, daß du genausoviel Schuld trägst wie ich?
    Schuld woran? fragte ich zurück.
    Weißt du nicht mal das? Es ist so einfach, erwiderte sie. Du und Archie, ihr habt ihm all diese Kunststücke antrainiert. Wie einem Zirkusbären. Archie war weniger wichtig – auch wenn er Henry im Innersten manchmal vielleicht lieber war – als du; dich hat er ernst genommen, du warst so, wie er werden wollte, und ein wenig von deinem Cousin George hätte er gern noch dazu gehabt. Dieser schreckliche Einsiedler! Warum habt ihr alle ihn nicht in Ruhe gelassen? Warum habt ihr ihm geholfen, ein Ehren-Arier zu werden? Warum habt ihr ihm zugeredet, an mir festzuhalten? Ich war so dumm, dir auch noch dafür zu danken, damals in meinem lächerlichen kleinen Apartment. Er wäre besser gefahren mit einem Mädchen, das ihm glich, das von seiner Art war.
    Blödsinn, sagte ich und fragte, ob sie sich vorstellen könne, daß irgend etwas außer den Nürnberger Gesetzen Henry an seiner Version der Amerikanisierung gehindert hätte. Und ob sie je einem Menschen von Henrys Art begegnet sei. Er selbst war überzeugt, daß es diese Art gar nicht gibt. Du redest wie Mrs. White, sagte ich.
    Mrs. White hatte recht, gab sie zurück. Du und ich und Harvard haben ihren Jungen korrumpiert. Er hätte sich von dir und mir fernhalten sollen; das wäre besser gewesen.
    Tränen traten ihr in die Augen. Ich nahm ihre Hand und sagte: Darüber haben wir schon früher gesprochen, aber warum, warum in aller Welt habt ihr es nicht miteinander versucht? Ihr hattet immer wieder neue Chancen, auch in Paris noch, als es mit dir und du Roc nicht gutging. Henry war da, du hättest nur zugreifen müssen. Ihr habt euch doch geliebt.
    Liebe, sagte sie, Liebe war nicht das Problem und nicht die Lösung. Vielleicht hätten wir eine Vernunftehe mit Sex als Beigabe führen können – das hätte mein armer Vater empfohlen, nur daß wir nie darüber geredet haben. Aber es hätte mich physisch nicht befriedigt, das habe ich dir vor langer Zeit erklärt. Daran hat sich nichts geändert. Aber er hat sich verändert.
    Sie stockte, biß sich auf die Lippen und sagte: Kann es sein, daß du von einem einzigen Vorfall zwischen uns nichts erfahren hast? Weißt du wirklich nicht, was er getan hat?
    Ich erklärte, daß ich wahrhaftig nicht wisse, wovon sie rede.
    Na gut, sagte sie. Ich erzähl es dir, damit deine Akte vollständig ist. Weißt du, ich bin nicht komplett verrückt, und als mir klar war, daß ich Jean früher oder später würde verlassen müssen, dachte ich schließlich an die Vernunftehe. Ich trug sie Henry an. Nicht mit diesen Worten, sondern sehr nett schlug ich einem alten Freund, einem alten Liebhaber, dem Mann, der mich gevögelt hatte, seit ich neunzehn war, und es immer noch tat, die Heirat vor. Du weißt, daß wir, bevor der kleine Henry kam – sie sprach den Namen tatsächlich französisch aus –, und auch danach unsere Bett-Nachmittage von fünf bis sieben oder wann immer er frei war und ich es einrichten konnte, beibehielten. Abervielleicht weißt du nicht, oder vielleicht doch – er hat dir ja die unmöglichsten Sachen erzählt –, was er auf meinen Vorschlag geantwortet hat. Du weißt es wirklich nicht? Also, dies war seine Antwort: Wir sind alt geworden, Margot, wir könnten kein Kind zusammen haben, du bist nicht mehr jung genug. Uns geht’s doch gut, so wie wir jetzt sind. – Da brach mir der Boden unter den Füßen weg. Aber dann tat er, als wäre nichts geschehen, knöpfte mir mein Kleid auf, löste die Haken an meinem BH und legte meine Hand auf seine Erektion. Das war der Moment, da ich ihm zum zweiten Mal in seinem Leben ins Gesicht schlug – heftig. Und weißt du, was er darauf sagte: Es tut mir leid, daß du es so aufnimmst. Ich dachte, es versteht sich von selbst. – Und hier ist noch eine Kleinigkeit, um das Bild vollständig zu machen, sagte Margot. Ich nahm seine Hand und

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