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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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der so gut dastand wie Henry in der zweiten Hälfte seines dritten Jahres und so begabt war. Ich hätte mich noch einmal bemühen müssen, regelmäßig mit ihm zusammen zum Essen zu gehen. Aber ich nahm nur selten am Mittag- und Abendessen teil, häufiger ließ ich es ausfallen, und zum Frühstück ging ich fast nie. Der Zeitplan meiner Muse paßte nicht zu den Betriebszeiten des Speisesaals. So kam es, daß ich erst nach den Osterferien wieder einen Abend mit Henry zubrachte. Wir gingen zu einer frühen Vorstellung im University Theater und unterhielten uns dann in meinem Zimmer.
    Ich habe mich mit Madeleine in New York getroffen, erzählte er mir. Sie hat ihren Reisetermin so eingerichtet, daß ich dort sein konnte.
    Ist es möglich, daß mir nur die blöde Frage einfiel: War’s schön? Es machte nichts; er konnte es kaum abwarten, mir alles zu erzählen. Sie ist fabelhaft, sagte er, allmählich glaube ich sogar, daß sie sich vielleicht in mich verliebt hat. Jedenfalls möchte sie wirklich mit mir zusammensein. Stell dir vor – wir hatten drei Nächte für uns. Dann mußte sie wieder nach Brüssel, und ich nahm die U-Bahn nach Brooklyn.
    Ich war neugierig und fragte, ob er tatsächlich in ihrem Hotel geschlafen habe. Er lachte und sagte: Ja, in einem sehr großen Hotel, das sie absichtlich ausgesucht hatte, im Waldorf-Astoria. Selbst wenn zufällig jemand, den sie kannte, in der Lobby gewesen wäre, hätte er kaum merken können, daß wir zusammen waren, es sei denn, sie hätte meinen Arm genommen, was sie sorgfältig vermied. Sie waren die ganze Zeit zusammengewesen, sogar, wenn Madeleine Einkäufe machte, nur zweimal war sie allein zum Lunch gegangen, weil sie sich mit den Frauen von Geschäftsfreunden ihres Mannes treffen mußte. Unwahrscheinlich, daß Mr. und Mrs. White die Nachricht überlebt hätten, daß ihr Sohn seine Nächte im Waldorf mit einer Frau zubrachte, die über dreißig Jahre älter als er war. Ich fragte ihn, wie er es geschafft habe, seine Eltern hinters Licht zu führen.
    Mit einer handfesten Lüge, antwortete er. Ich habe gesagt, ich würde bei George Standish zu Besuch sein. Natürlich waren sie wütend, und ich mußte versprechen, jeden Morgen anzurufen, damit sie wußten, daß ich nicht von einem Auto überfahren worden war. Selbstverständlich konnte ich das nicht vor Madeleines Ohren tun; es wäre zu peinlich gewesen. Ich mußte warten, bis sie im Bad war. Das Risiko, daß meine Eltern bei Standishs anrufen würden, war sehr gering, solche Herrschaften würden sie nicht stören wollen, aber für den Fall, daß sie in einer Notlage den Mut aufbrachten, die Nummer zu wählen, hatte ich George gebeten, meine Geschichte zu bestätigen und mich sofort anzurufen.
    Du hast ihm von Madeleine erzählt!
    Mußte ich doch, sagte er. Außerdem vertraue ich ihm. Dir habe ich es erzählt, weil ich dir alles erzähle. Archie habe ich nichts gesagt.
    Er stockte, aber ich sagte nichts, und er fragte, ob ich es für einen Fehler hielte, daß er George ins Vertrauen gezogen hatte. Ich beruhigte ihn: Nein, es sei kein Fehler. Er sah erleichtert aus.
    Da ist noch etwas, sagte er. Madeleine kennt die Geschichte mit Wilmerding, ich habe sie ihr in einem Brief erzählt. Sie meint, meine Freunde hätten mich im Stichgelassen. Sie seien nicht für mich eingetreten. Das hat sie mir geschrieben, und in New York hat sie noch mal davon angefangen. Ich glaube, ich habe sie überzeugt, daß ihr nichts tun konntet. Vielleicht hätte Peabody die Clique zur Ordnung rufen können, aber so etwas ist nicht Sache des Seniortutors. Und was wäre aus meiner Beziehung zu Wilmerding nach einer solchen Zurechtweisung geworden? Etwas Schlimmeres als nichts, und jetzt ist sie nur nichts.
    Ein Nichts, das wurmt, sagte ich und hoffte, daß Madeleine nicht den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
    Entweder dachte er wirklich nicht, daß wir ihn im Stich gelassen hatten, oder er war entschlossen, gute Miene zu unserem Verhalten zu machen. Er hatte mir noch etwas Wichtiges zu erzählen. Madeleine hatte ihm gesagt, sie habe sich von ihrem Ehemann überreden lassen, Henry für Juli und August wieder als den Englischtutor ihrer Neffen in Bayencourt zu engagieren. Er sollte sogar mehr Geld bekommen. Aber zuerst würde er sich mit ihr in London treffen. Sie würden dort ein paar Tage zusammensein, und dann wollte sie nach Hause fahren, um rechtzeitig zu seiner für den ersten Juli geplanten Ankunft da zu sein. Das, sagte er, werde der

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