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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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nur auskotzen konnte, schleimig und immer mit dem Gestank deiner Tat behaftet. Der Sohn entsagte vollends den Lauten, erschuf sich mühsam eine Fantasiewelt in Bildern, bis er unter großer Anstrengung gelernt hatte, die Sprache zu lesen, leidend und stumm, ohne einen Mucks verwandelte sich die ganze Sprache in seinem Kopf zu Bildern, und er las weiter und weiter, solange, bis er ausreichend neue Bilder zur Verfügung hatte, für eine Zeit lang, bis sie wieder entschwanden und er neue Bilder erlesen musste.
    Du hattest den Sohn aus der Unschuld geworfen. Tief aus der Erde sprach deine Stimme zu ihm, du Höllenmutter.
    »Du bist ein schreckliches Kind. Du hockst in der Ecke, klebst an deinen Büchern. Du bist ein Buchstabenmonster!«
    »Geh zum Spielen raus, verdammt noch mal! Benimm dich wie alle normalen Kinder!«
    »Stubenhocker! Wenn du so weitermachst, wirst noch verrückt!«
     
    Sie sprach dem Sohn das tägliche Mutterunser, gleich einer diabolischen Furie. Berechnend hast du dich in das Haus Gottes geschlichen und deinen Pferdefuß versteckt, reichtest dem Sohn den bitteren Kelch des Abendmahles und gosst ihm den roten Wein über seinen weißen Anstand. Drohtest dem Vierzehnjährigen, ihn aus dem Haus zu werfen, weil du ihn nicht mehr ertragen konntest.
    Den einzigen Ort der Ruhe fand der Sohn im Bauch der Bücher. Wenn das Dämmerlicht einsetzte, fand er hinter den Lederrücken seine ersten Verbündeten, die ihm schon vertraut waren, die er bereits lange in sich trug, seit Kindesbeinen an. Dort fand der Sohn den einfachen Soldaten Woyzeck mit seinem Messer, seinem Kriegsgeheul gegen die untreuen Menschen und besonders gegen die verräterischen Mütter.
    ›Was ist der Mensch? Knochen! Staub, Sand, Dreck.‹
    ›Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht, noch nicht? Immer noch? Bis du todt? Todt! Todt!‹
    ›Blut? Warum wird es mir so roth vor den Augen! Es ist mir als wälzten sie sich in einem Meer von Blut, all mitnander! Ha rothes Meer.‹
    Oder der faszinierende Lenz, der sein bester Freund wurde. Lenz, der seine Wut endgültig zum Explodieren brachte.
    ›In seiner Brust war ein Triumph-Gesang der Hölle. Der Wind klang wie ein Titanenlied, es war ihm, als könne er eine ungeheure Faust hinauf in den Himmel ballen und Gott herbei reißen und zwischen seinen Wolken schleifen; als könnte er die Welt mit den Zähnen zermalmen und sie dem Schöpfer in’s Gesicht speien; er schwur, er lästerte.‹
    Ja, Lenz kannte den Sohn genau!
    ›Es war ihm dann, als existiere er allein, als bestünde die Welt nur in seiner Einbildung, als sei nichts, als er; er sei das ewig Verdammte, der Satan; allein mit seinen folternden Vorstellungen. Er jagte mit rasender Schnelligkeit sein Leben durch, und dann sagte er: konsequent, konsequent; wenn Jemand was sprach: inkonsequent, inkonsequent; es war die Kluft unrettbaren Wahnsinns, eines Wahnsinns durch die Ewigkeit.‹
     
    Er fühlt wie er existiert, legt den Kugelschreiber aus der Hand, starrt auf den Zettel mit dem frisch verfassten Text, geschrieben für die Ewigkeit und einem imaginären Finder, der einst kommen und dafür sorgen wird, dass sein Name dort hingelangt wo er hingehört, in die Ewigkeit. Doch der verdammte Text starrt trotzig zurück, als würde er sagen: Ist das schon alles? Das soll für die Ewigkeit reichen? Hat der Sohn nicht mehr zu bieten? Schreib, Sohn! Schreib! Schreib endlich!
     
    Dem Sohn wird heiß, sein Kopf beginnt zu glühen, als wäre er voll Lava, die tief in seinem Hirn zu brodeln beginnt. Es fehlt noch dieser letzte Impuls, bevor die Hitze sich durch seinen Schädelknochen fressen wird, diese zähflüssige Höllenmade mit ihrem rasiermesserscharfen Fressfeuer. Dieser Impuls, grausam und lustvoll zugleich, drängt an die Oberfläche, will Macht, will die endgültige Kontrolle über seinen Willen, will, dass der verlorene Sohn Gottes endlich beschließt, dieses aufrührerische Geschlecht zu bestrafen, ihnen das Dasein zu nehmen, ihre trotzigen Augen zu brechen.
    Noch zögert der Sohn, will die Lust möglichst lange auskosten, will noch ihren flehenden Blick sehen. Ihre Angst beflügelt seine Fantasie, schenkt ihm seine gewaltigen Bilder, lässt ihn schon im Voraus den Augenblick durchleben, wenn er das letzte Mal nach dem Messer greifen wird, wenn er seinen Schatten das letzte Mal auf die blanke Klinge werfen wird und wenn er den Raum das letzte Mal betreten wird. Nur er allein ist der Auserkorene,

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