Eidernebel
der Hauptkommissar gibt den Namen Peter Schnoor ein. Eine Unmenge von Eintragungen ergießt sich wie eine Sturmflut über den Bildschirm.
Noch mal!
Er fügt ›geboren in Oldenswort‹ hinzu und erhält die Auskunft: Es wurden keine übereinstimmenden Dokumente gefunden.
Wäre auch zu einfach gewesen!
Vielleicht lebt der Mann gar nicht mehr in Deutschland!
Apropos orgeln, überlegt er. Du wolltest dich noch um die Schlüsselsache mit diesem Organisten kümmern.
Swensen greift seinen Notizblock, blättert ihn durch und wählt die Nummer von Rita Ahlefeld, der Frau aus dem Kirchenvorstand St. Peter Ording.
»Ahlefeld!«
»Jan Swensen, Kripo Husum. Hallo, Frau Ahlefeld, ich möchte mich nur kurz erkundigen, ob Sie in der Zwischenzeit nachgefragt haben, wann genau Herr Thiel vor dem Mord in der Ordinger Kirche war.«
»Das trifft sich gut! Herr Thiel war nämlich heute Morgen hier, um wieder den Schlüssel abzuholen. Er hat mir bestätigt, das er am 17. November in der Kirche gewesen ist.«
»Und Herr Thiel ist jetzt wieder in der Kirche?«, fragt Swensen verwundert.
»Richtig! Er hat mir gesagt, dass er dort unbedingt noch mal rein müsse und die Polizei hätte die Kirche schließlich wieder freigegeben. War das jetzt falsch?«
»Nein … alles in Ordnung, Frau Ahlefeld. Vielen Dank für die Auskunft!«
Was macht der da in der Mordkirche?, schießt es dem Hauptkommissar durch den Kopf, während er den Hörer auf die Station zurücklegt. Etwas in ihm will sofort nach Ording fahren, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Er lässt alles stehen und liegen, greift seinen Mantel und holt sich den Schlüssel für den Dienstwagen. Auf der Eingangstreppe kommt ihm Helene Klein entgegen.
»Hast du spontan Zeit, Helene?«
»Wenn du mich so fragst, ich hab gerade keinen Termindruck.«
»Dann würde ich dich bitten mitzukommen. Ich erkläre dir alles während der Fahrt.«
»Es geht um den Organisten, der die erste Leiche in der Witzworter Kirche gefunden hat«, erklärt der Hauptkommissar und steuert den Polo mit der Profilerin auf dem Beifahrersitz in Richtung Westküste. »Der soll sich gerade in der Ordinger Kirche befinden.«
»Das klingt ziemlich makaber. Was will der denn an so einem schrecklichen Ort?«
»Das würde mich auch interessieren. Deshalb wollte ich dich auch gerne dabeihaben. Bei deiner Erfahrung mit Serientätern kannst du den Mann bestimmt besser einschätzen als ich, oder?«
»Wir sind zwar nicht in den USA, aber immerhin wurden seit 1945 in der alten Bundesrepublik 68 Männer und 8 Frauen als Serienmörder verurteilt. Im gleichen Zeitraum blieben allerdings auch 23 Mordserien ungeklärt. Die meisten Fälle sind mir natürlich vertraut.«
»Das hätte ich jetzt nicht gedacht«, meint Swensen erstaunt und steuert den Wagen in Höhe Tönning auf die Bundesstraße 202. »Das ist eine beachtliche Zahl. Alles solche schrecklichen Fälle wie unsere?«
»Noch schrecklicher!«
»Kaum vorstellbar.«
»Die Taten des Herbert Köhler haben mich emotional am meisten mitgenommen. Mit dem Mann habe ich auch persönlich in seiner Zelle gesprochen.«
»Herbert Köhler? Nie von dem gehört.«
»Der Mann war in einem zerrütteten Elternhaus aufgewachsen. Mutter und Vater lagen in einem Dauerclinch, stritten sich ununterbrochen, bis sie sich schließlich trennten. In der Zeit zeigte Herbert eine Reihe merkwürdiger Verhaltensweisen. Er betrieb rituelle Todesspiele mit Mädchen aus der Nachbarschaft und zerstückelte eine Hauskatze mit dem Messer. Nach der Trennung der Eltern lebte Herbert bei seiner Großmutter, einer herrischen, resoluten Frau, die dem Kind immer wieder sagte: ›Ich will, dass die Leute zu mir aufschauen.‹ Als Siebzehnjähriger stach er ein Pferd mit einer Art Lanze nieder, einem Stock an dem er ein Messer befestigt hatte. Ein Psychiater bescheinigte ihm eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung. Herbert nahm alle möglichen Jobs an, hauptsächlich als Lastwagenfahrer. Mit 24 begann er junge Anhalterinnen zu ermorden, schnitt ihnen die Köpfe ab und vergrub die mit dem Gesicht nach oben im Garten seiner Großmutter. Am Ende seiner Mordserie hatte er vier Frauenköpfe vergraben, die alle zum Schlafzimmer seiner Großmutter hinaufschauten.«
»Der Mensch ist des Menschen Wolf«, sagt Swensen mit gedrückter Stimme.
»Homo homini lupus. Thomas Hobbes«, ergänzt Helene Klein. »Ich habe Köhler gefragt, warum er das getan hat und er antwortete: ›Ich glaube, ich muss irgendetwas
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